Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
peng! bin ich aufgewacht. Genaugenommen bin ich mir gar nicht sicher, daß es ein Traum war. Ich meine, ich erinner mich nicht, von irgend etwas geträumt zu haben. Vielleicht habe ich nicht geträumt. Aber jedenfalls hab ich Ihre Stimme gehört, direkt neben meinem rechten Ohr. Sie haben immer wieder nach mir gerufen, und richtig laut. Und davon bin ich aus dem Schlaf geschreckt.
    Als ich die Augen aufgemacht habe, war es im Zimmer nicht dunkel. Durch das Fenster kam Mondlicht herein. Da hing so ein großer, dicker Mond über dem Hügel, wie ein Tablett aus rostfreiem Stahl. Er war so riesig, daß es aussah, als könnte ich die Hand ausstrecken und etwas drauf schreiben. Und das Licht, das durch das Fenster reinkam, sah aus wie eine große, weiße Wasserpfütze. Ich hab mich im Bett aufgesetzt und mir den Kopf darüber zerbrochen, was gerade passiert sein könnte. Warum hatten Sie mit einer so scharfen, klaren Stimme meinen Namen gerufen? Mein Herz hämmerte eine Ewigkeit lang wie wild. Wenn ich bei mir zu Haus gewesen wäre, hätte ich mich angezogen - obwohl’s mitten in der Nacht war - und wäre die Gasse hinunter zu Ihrem Haus gerannt, Mister Aufziehvogel. Aber hier draußen in den Bergen, eine Million Meilen weg, konnte ich ja nirgendwo hinrennen, oder? Und wissen Sie, was ich dann getan habe?
    Ich hab mich nackt ausgezogen. Ähem. Fragen Sie mich nicht, warum. Ich weiß es selbst nicht genau. Also seien Sie einfach still und hören Sie sich an, wie’s weiterging. Wie auch immer, ich hab mich splitterfasernackt ausgezogen und bin aus dem Bett gestiegen. Und ich hab mich auf den Boden gekniet, im weißen Mondlicht. Die Heizung war längst aus, und im Zimmer muß es kalt gewesen sein, aber mir war nicht kalt. Im Mondlicht, das durchs Fenster reinkam, war irgendwie was Besonderes drin, und dieses Etwas hüllte meinen Körper hauteng mit einem dünnen, schützenden Film ein. Zumindest kam es mir so vor. Eine Zeitlang bin ich einfach so da geblieben, nackt und weggetreten, aber dann habe ich angefangen, verschiedene Körperteile nacheinander ins Mondlicht zu halten. Ich weiß auch nicht, es kam mir wie die natürlichste Sache von der Welt vor. Das Mondlicht war so absolut unglaublich schön, daß ich gar nicht anders konnte. Kopf und Schultern und Arme und Brüste und Bauch und Beine und Po und, Sie wissen schon, da unten rum: eins nach dem anderen habe ich ins Mondlicht getaucht, als würde ich mich waschen.
    Wenn jemand mich von draußen gesehen hätte, dann hätte er das bestimmt äußerst, äußerst merkwürdig gefunden. Ich muß wie so eine Vollmondverrückte ausgesehen haben, die im Mondlicht total am Ausrasten war. Aber natürlich hat mich keiner gesehen. Obwohl, wenn ich’s mir recht überlege, war dieser Junge auf dem Motorrad vielleicht irgendwo da und hat mir zugeschaut. Aber das ist schon OK. Er ist ja tot. Wenn er gucken will, und wenn ihn das glücklich macht, dann darf er mich gern sehen. Aber egal, niemand sah mir zu. Wie ich’s getan hab, war ich ganz für mich allein im Licht des Mondes. Und zwischendurch habe ich immer wieder die Augen zugemacht und an die Entenleute gedacht, die wahrscheinlich irgendwo in der Nähe des Teiches schliefen. Ich habe an das warme, wohlige Gefühl gedacht, das die Entenleute und ich am Tag erschaffen hatten. Weil die Entenleute schließlich so etwas wie eine wichtige, magisch schützende Amulettgeschichte für mich sind.
    Danach bin ich sehr lange auf den Knien geblieben, hab einfach nur ganz allein, ganz nackt, im Mondlicht gekniet. Das Licht gab meiner Haut eine magische Farbe, und mein Körper warf einen scharfen schwarzen Schatten auf den Boden. Es sah gar nicht aus wie der Schatten meines Körpers, sondern wie der einer viel erwachseneren Frau. Er war keine Jungfrau wie ich, er hatte nicht meine Ecken und Kanten, sondern war voller und runder, mit viel größeren Brüsten und Knospen. Aber es war der Schatten, den ich warf - nur mehr in die Länge gezogen und mit einer anderen Form. Wenn ich mich bewegte, bewegte er sich. Eine Zeitlang habe ich probiert, verschiedene Bewegungen zu machen, und habe ganz genau hingesehen und versucht festzustellen, welcher Zusammenhang zwischen mir und meinem Schatten bestand, und versucht, mir zu überlegen, warum er nur so verschieden von mir aussah. Aber ich habe es dann doch nicht geschafft. Je länger ich hingesehen habe, desto seltsamer kam es mir vor.
    So, und jetzt kommt der Teil, der wirklich schwer zu erklären ist,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher