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Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Titel: Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Autoren: William Gibson
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Styroporplatte zu werfen. Leute von der Waber-Rauch-Gewerkschaft lassen künstlichen Rauch durch das Hinterzimmer der Drome-Bar wabern. Langsam kommt Bewegung in die Sache. Es tut sich was.
    Der Schauspieler, der den transsexuellen Leibwächter Yomomma darstellen soll, fragt dich, ob seine Figur einen Penis hat. Du erwiderst, dass das, offen gestanden, niemand weiß, außer seiner Freundin Pretty. Wer würde es schließlich sonst wagen, danach zu fragen? Die Antwort scheint ihm zu gefallen.
    Dann fährst du nach Hause und redest viel zu viel über die ganze Sache, langweilst deine Familie und deine Freunde mit deiner einseitigen Obsession. Du zeigst ihnen die Fotos, die du gemacht hast. Sie zucken mit den Achseln. Du gibst dir Mühe, dich normal zu verhalten. Es funktioniert nicht. Du weißt nicht, was du tun sollst. Deshalb fährst du zurück nach Toronto, um dir noch einmal die Pekinger Hotelsuite anzuschauen – doch sie ist weg, abgebaut. Und ebenso das Hinterzimmer der Drome-Bar.
    Was von der Hotelsuite übrig ist – ein verschmutztes Stück Teppich und ein zerfetzter Philippe-Starck-Sessel – findest du in einem noch größeren Gebäude im Industriegürtel von Toronto. Eine Adresse an der Industry Street, eine stillgelegte Transformatorenfabrik. Jemand hat »PCBs ‚r’ us« über denEingang zur Studiobühne geschrieben. Hier haben Regisseur und Bühnenbildner den Inbegriff aller Müllhalden errichten lassen. Gomi , der an die Brücke in Virtuelles Licht erinnert, eine wahnsinnige, herzzerreißend poetische 3D-Collage aus gewaltigen Containern, Mülltonnen, einem Airstream-Wohnwagen, einem Kabinenkreuzer und einem Schulbus. Du gehst darauf zu, gehst hinein, während seltsame Winde der Zeit, der Kunst und der Möglichkeiten dich durchwehen, und erinnerst dich daran, wie du mit vierzehn zum ersten Mal den Interzone-Abschnitt von Naked Lunch gelesen hast. Genau das siehst du jetzt vor dir. Und du brichst zwar nicht in Tränen aus, aber du bist nahe dran …
    Dann plötzlich stülpt sich deine Wahrnehmung um, und du weißt, dass dies alles für dich nie wieder real sein wird, aber das ist okay. Für einen kurzen Moment warst du auf der anderen Seite – nun hat die Wirklichkeit dich wieder. Und du kannst mit deinen Kindern reden und vielleicht sogar deine Zähne putzen.
    Deine Arbeit ist getan.
    (Allerdings beginnt in Kürze die »Postproduktion«, und du hast nicht den blassesten Schimmer, was damit gemeint ist.)
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    Ich schrieb diesen Essay in einem Zustand der völligen Unschuld – die Postproduktion war nicht das Einzige, wovon ich zum Glück überhaupt keine Ahnung hatte. Ich bin jedoch froh, diesen Essay geschrieben zu haben, weil er mich heute daran erinnert, dass der ganze Prozess auch seine seltsam angenehmen Momente hatte.
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Rede am Vancouver Institute
Februar 2008
    Die erste Ahnung vom Cyborg erhielt ich durch die Roboter in The Mysterious Dr. Satan von Republic Pictures aus dem Jahre 1940. Sie stammten ursprünglich aus Undersea Kingdom von 1936 und waren für Dr. Satan recycelt worden. Ein weiteres Mal tauchten sie in einer Filmserie mit dem brillanten Titel Zombies of the Stratosphere aus dem Jahr 1952 auf. Das alles weiß ich nicht etwa, weil ich ein Experte in Sachen Republic Pictures oder Science Fiction im Allgemeinen wäre, sondern weil ich Google benutze. Aber dazu später mehr.
    The Mysterious Dr. Satan gehört zu meinen frühesten filmischen Erfahrungen. Ich sah die Serie wahrscheinlich 1952 und zwar auf einem Fernseher mit Holzgehäuse, was mir heute reichlich fantastisch vorkommt. Diese Cliffhangerfilme, ursprünglich für das Kino produziert, wurden in den Fünfzigern im regionalen Fernsehen gezeigt – am Nachmittag, wenn die Schule vorbei war, nach einer halben Stunde Hollywood-Zeichentrickfilme in Schwarzweiß.
    Ich erinnere mich, dass mir Dr. Satans Roboter mit ihren massigen, röhrenförmigen Körpern ohne Schultern, den zangenartigen Händen und den Gliedmaßen aus biegsamem Metall schreckliche Angst einjagten. Sie waren schon seit 1936 im Einsatz, was zur Absonderlichkeit ihrer Designsprache beitrug, aber das wusste ich damals noch nicht. Ich wusste nur, dass sie das Furchterregendste waren, was ich bis dahin gesehen hatte, und ich konnte kaum zuschauen, wie sie den Held oder seine Freundin bedrohten.
    Heute frage ich mich, was ich damals über Roboter wusste. Dass sie »Roboter« genannt wurden und »mechanische Menschen« waren. Dass diese speziellen Roboter die Diener
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