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Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack

Titel: Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
Autoren: William Gibson
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mitbringt).
    Irgendwann gelang es mir schließlich, eine Geschichte zu schreiben, die dann auch gedruckt wurde, wenn auch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Später – nach einer Reihe von Fehlstarts, so kam es mir damals zumindest vor – schrieb ich noch ein paar mehr. Ich lernte andere angehende Science-Fiction-Autoren kennen, die allesamt nichtkommerzielle Möglichkeiten gefunden hatten, zu schreiben und gelesen zu werden. Um die Science Fiction hatte sich im Laufe der Zeit eine tiefe Kompostschicht aus Fanzines gebildet, eine Art generationenübergreifendes Zeitungsinternet, das für viele Autoren offenbar eine enorme Faszinationskraft besaß. Nachdem ich diese Form der Veröffentlichung einige Male ausprobiert hatte, beschloss ich jedoch, davon Abstand zu nehmen.
    Ich fing gerade erst an, den inneren Raum zu erkunden, aus dem meine Geschichten kamen, und es erschien mir einfach sinnvoller, Literatur zu schreiben, die sich auch verkaufen ließ.(Wobei ich das angehenden Autoren nicht als Ratschlag mit auf den Weg geben möchte, weil es zweifellos Schriftsteller gibt, bei denen genau die umgekehrte Vorgehensweise zum Erfolg führt.)
    Es ging mir weniger um den Unterschied zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit oder um die genaue Geldsumme, die ich mit meinen Werken erzielen würde. Es ging mir darum, mit einem Gedanken in der wirklichen Welt etwas zu bewegen – also um eine sehr viel grundlegendere Unterscheidung. Jedes von mir geschriebene (oder geschriebene und dann wieder gestrichene) Wort hatte einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass in der Außenwelt etwas geschah. Entweder würde es mir gelingen, einen Profi, der mit der Auswahl von Geschichten seinen Lebensunterhalt verdiente, davon zu überzeugen, meine Werke zu kaufen, oder eben nicht. Das erschien mir wie Magie, und es ist bis heute so geblieben. Als könnte man eine Tüte Lebensmittel herbeizaubern, indem man ein paar Runen auf die Erde zeichnet. Hat man das einmal geschafft, macht man es beim nächsten Mal weniger der Lebensmittel wegen, sondern weil es einfach ein absolut erstaunlicher Vorgang ist.
    Die Tür zum Schreiben öffnete sich für mich in der Folgezeit immer häufiger und müheloser. Es hatte viel mit der Routine zu tun, die ich mir beim Schreiben von Literatur aneignete. Und obwohl ich den Drang zu schreiben vielleicht einfacher auf andere Weise hätte befriedigen können (und ich kein besonders disziplinierter Mensch bin), machte ich es mir zur Auflage, ausschließlich fiktionale Literatur zu schreiben.
    Deshalb sind mir auch die Texte, die dieses Buch versammelt, nicht ganz geheuer.
    Sie widersprechen diesem frühen Vorsatz, denn sie sind keine Literatur. Schlimmer noch, man kann sie eigentlich auch nicht als Sachtexte bezeichnen, weil sie aus der Perspektive und mit dem Handwerkszeug des Belletristikautors geschriebensind – dem einzigen, das ich besitze. Auf die Herausforderung, Sachtexte zu schreiben, fühlte ich mich nur unzureichend vorbereitet. Es war in etwa so, als sollte ich eine Solodarbietung auf einem Instrument abliefern, das eine ungefähre Ähnlichkeit mit dem hatte, das ich beherrsche.
    Ich hatte keinerlei Ausbildung als Journalist. Und die Vorstellung, ein Tagebuch zu führen oder ungefilterte autobiografische Texte zu verfassen, hat mir nie sonderlich behagt. Als ich die ersten Anfragen erhielt, ob ich nicht den einen oder anderen Zeitschriftenartikel verfassen könnte, war die Membran, die den Ort in meinem Inneren umgab, an dem meine Geschichten entstanden, allerdings bereits angenehm dünn und porös geworden. Die Welt drang hindurch, und wurde, wenn ich Glück hatte, in etwas anderes verwandelt. An einem guten Arbeitstag gelang es mir in einem weitgehend unbewussten Prozess, aus der Realität (oder was dafür gehalten wird) eine Fantasiewelt zu machen. Und genau so gefiel es mir, so wollte ich mein Geld verdienen. Sachtexte zu schreiben, schien dem zu widersprechen.
    Und dennoch – die Gelegenheit, neue Orte zu besuchen und interessante Menschen kennenzulernen, Fragen stellen zu dürfen … all diese Dinge können auch für einen Belletristikautor außerordentlich wertvoll sein. Die absonderlichsten Eindrücke dringen durch die Membran herein – in Tokio, in Singapur, in der Zona Rosa oder in einem Nachtclub in Dublin. Und man wird sogar noch dafür bezahlt …
    Das alles hat mich letztlich dazu verlockt, Angebote anzunehmen, die ich, einem inneren Gefühl gemäß, lieber hätte ausschlagen
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