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Mission Munroe. Die Sekte

Mission Munroe. Die Sekte

Titel: Mission Munroe. Die Sekte
Autoren: Taylor Stevens
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für Stück eine acht Jahre alte Geschichte zu erzählen, die sie erfahren musste, sie, die als Einzige in der Lage war, dieser Geschichte noch ein gottverdammtes Happy End zu bescheren. Sie, die jetzt im Drogennebel gefangen hier auf dem Bett lag.
    Er hätte sie am liebsten aufgeweckt, um zu erfahren, was, verdammt noch mal, in der Nacht eigentlich passiert war, was sie getan hatte, um sie anzubrüllen und ihr ein bisschen Vernunft beizubringen. Aber er riss sich zusammen
und kehrte in die Küche zurück. Vielleicht gelang es ihm ja, ein paar Bissen hinunterzuschlingen, um die wieder aufkeimende Übelkeit zu bekämpfen.
     
    Es dauerte bis zum Nachmittag, dann waren schließlich alle da. Logan spielte trotz seiner ständig größer werdenden Sorge um Munroes Zustand den Gastgeber.
    Ihre Reaktionen auf das opulente Quartier amüsierten ihn. Er führte sie herum und gab Antwort auf die Frage, wer das denn alles bezahlte.
    Es war ein eigenartiges Grüppchen, das sich da auf der Dachterrasse inmitten von gusseisernen Gartenmöbeln und hölzernen Pflanzentöpfen versammelt hatte. Hier herrschte eine geruhsame Atmosphäre, die ein wenig an die Alte Welt erinnerte, ganz im Gegensatz zu dem Großstadtchaos unter ihnen.
    Sosehr sie sich auch äußerlich, hinsichtlich ihres Geschmacks und Stils und ihrer Lebensführung voneinander unterscheiden mochten, das Band der Kindheit, das sie alle zusammenhielt, war stärker als alle Unterschiede. Sie plauderten miteinander, wie ein Trupp Soldaten, die gemeinsam das Trauma des Krieges durchlitten haben, so lange, bis die Glastür lautlos aufglitt und Munroe auf die Terrasse trat.
    Sie hatte sich gewaschen und zurechtgemacht. Von dem Blut war keine Spur mehr zu sehen, und mit dem mädchenhaften Kleid und den flachen Schuhen sah sie aus wie der Inbegriff scheuer Unschuld.
    Sie erwiderte Logans Blick mit einem Hauch von Durchtriebenheit.
    Logan seufzte.
    Was immer sie auch sein mochte, scheu und unschuldig jedenfalls nicht. Sie hatte diese Fassade der Schüchternheit
und der Unauffälligkeit bewusst gewählt, weil das ungeübte Auge sich davon nur allzu leicht täuschen ließ, und wie er an ihrem Blick erkennen konnte, war ihr vollkommen klar, wie sehr ihn das ärgerte.
    Er wandte den Blick von ihr ab, und ihr Lächeln wurde breiter, als wollte sie sagen: Ja, genau, Logan, ich weiß, was du vorhast.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
    Es war immer ein Fehler, sie zu unterschätzen, und obwohl er sie weder angelogen noch in die Irre geführt hatte, hatte er ihr doch eine Menge verschwiegen.
    Logan ließ den Blick erneut über Munroes Mädchenkleider gleiten, zögerte kurz und stellte sie dann den anderen vor.
    »Das ist Michael«, sagte er. »Von der ich euch erzählt habe.«
    Von Logan abgesehen saßen noch sechs andere um den Tisch herum: Immobilienmaklerin, Projektmanagerin, Rechtsanwältin, Leiter der IT-Abteilung eines Großunternehmens, Fotograf, Medizinstudent, alle Ende zwanzig bis Mitte dreißig. Und alle hatten sie unter solch gewaltigen persönlichen Opfern um das gekämpft, was sie jetzt waren, dass nicht einmal ihre Ehefrauen und -männer jede Einzelheit kannten.
    Munroe nahm Platz, und sie stellten sich der Reihe nach vor. Es gab kaum Smalltalk, nur ein paar wenige Oberflächlichkeiten, während alle Anwesenden ihre persönliche Variante ein und derselben Geschichte erzählten: die Geschichte eines Lebens, das von Geburt an kontrolliert und strukturiert gewesen war, voller Hingabe an Gott und den PROPHETEN , voller Armut und Unterwürfigkeit, bis sie irgendwann ein Wagnis eingegangen waren … bis sie ihre
Familie, ihr gesamtes soziales Netz, die ganze Welt, wie sie sie kannten, aufs Spiel gesetzt hatten, einzig in der Hoffnung, dass es noch ein anderes Leben, ein besseres Leben gab, hier draußen in der LEERE .
    Logan hörte die Verzweiflung, die in jedem ihrer sorgfältig gewählten Worte lag, und fragte sich, ob sie sie auch hören konnten. Sie versuchten Munroe einzuschätzen, waren sich unsicher, ob sie die Dimension dessen, was hier auf dem Spiel stand, überhaupt erfassen konnte, fragten sich, ob ausgerechnet dieses schüchterne Mädchen in der Lage war, erlittenes Unrecht geradezurücken. Die Zweifel waren ihnen klar und deutlich ins Gesicht geschrieben.
    Logan betrachtete sie erneut, und selbst er, der sie so gut kannte, konnte sich nur schwer vorstellen, wie diese offenkundige Unschuld einer solch gewaltigen Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen sollte. Er
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