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Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)

Titel: Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Autoren: Marlies Lüer
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gewissen inneren Zufriedenheit. Ich mochte auch die Zeiten mit Mira, ich hatte ja nie Großeltern gekannt und konnte mich nun in altmütterlicher Weisheit und Fürsorge baden. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mir doch eine „echte“ Familie mit mehreren Generationen fehlte. Ich hatte ja nur Mutter, Tante und Onkel und wenige Jahre mit Vater. Wer mir aber noch wesentlich mehr fehlte, das war Valerius. Er war viel zu beschäftigt, um mir wie anfangs noch lange E-Mails zu schreiben. Wir telefonierten auch nur noch selten. Die Schilderungen meines neuen Lebens beantwortete er freundlich, aber kurz. Manchmal hatte ich das Gefühl, er würde sich von mir entfernen. Aber sicher lag das nur an seinem anspruchsvollen Studium, ich wollte dafür Verständnis haben.
    Von meiner Mutter hatte ich neulich einen Brief bekommen. Sie erzählte mir von einem „sehr netten älteren Herren, den sie auf der Kreuzfahrt kennengelernt hätte“ – nur ein Freund, ein Nachbar, betonte sie. Aber an ihren ausführlichen Schilderungen von gemeinsamen Ausflügen und gemütlichen Abenden in ihrer und seiner Wohnung erkannte ich ein großes Maß an Zärtlichkeit und Freude. Wie es schien, hatte Tantes und Onkels Plan gut funktioniert. Ich freute mich für Mutter und hoffte, dass sie nun wirklich ein neues Glück gefunden hatte.
     
     
    Der Frühling wurde zum Sommer und ich verbrachte immer mehr Zeit mit Mira im Garten. Wenn ich im Verlag Feierabend hatte, freute ich mich auf das Nachhausekommen. Zuerst aß ich in der Stadt eine Kleinigkeit zu Abend, fuhr danach ins Lindenhaus, sah kurz nach Mira, ob sie mich brauchte, und dann zog ich mir meine Gartenklamotten an. Beim Unkrautjäten konnte ich herrlich entspannen. Ich liebte es, die Beete zu lockern, zu harken, die Pflanzen zu begutachten und zu pflegen und dann das Werk meiner Hände zu betrachten. Während dieser Arbeit war mein Kopf angenehm leer und mein Herz voll.
    An den Wochenenden arbeitete ich oft mit Mira zusammen. Sie führte mich in die Welt der Kräuter ein und fortan war ich ein Mensch, dem sich eine neue Sichtweise auf die Natur bot. Ich begriff wirklich, was es bedeutet, ein Teil der Erde zu sein. Früher war ich ein „Konsument“ der Erde, ich nahm, was ich wollte und brauchte, ohne groß darüber nachzudenken, welche Wirkung mein Tun und Lassen auf das große Ganze hatte. Durch die Gartenarbeit mit all ihren Kreisläufen und ganz eigenen Regeln und Gesetzen wurde mir vieles bewusst. Ich lernte auch viel aus Miras Büchern und kaufte selber noch einige für mich dazu.
    Es war ein Sonntagabend, als wir im Garten unter der Linde eine gemeinsame Mahlzeit einnahmen. Wir bestrichen uns Brot, welches wir am Vortag gebacken hatten, dick mit leicht gesalzener Fassbutter und tranken dazu Kräutertee. Mira schloss jedes Mal die Augen, wenn sie ins Brot biss und sie aß es förmlich mit Andacht. Da fiel mir eine Buchpassage ein, die Seelenlandreise, die mich innerlich sehr berührt hatte. In einem Aufschwall meiner Gefühle sagte ich ohne zu überlegen: „Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass sie nur noch süßes Brot bekommen vom Leben. Ich wünschte, ich könnte Ihnen in diese Seelenwelt folgen und Brot bringen, das ist nicht fair, dass sie bitteres Brot aßen und seelisch hungern mussten!“
    Mira verschluckte sich fast und sah mich mit großen Augen an.
    „Melissa mein Kind, wovon sprechen Sie?“
    Ich wurde rot und erklärte ihr, dass ich vor ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus das Lebenslicht-Buch zu Ende gelesen hatte, und dass mir der Anblick des Brotes auf unseren Tellern diese Passage vom radikal abgeernteten Feld in Erinnerung gerufen hatte.
    Mira lächelte mich warmherzig an: „Ach, Melissa, das ist wirklich lieb gemeint, ich danke Ihnen. Aber es war eine Speise, die nicht vom Herrn kam. Ich selbst hatte dafür gesorgt, dass mein Brot bitter wurde, weil ich vergaß, für mich selber zu sorgen. Ich habe dadurch für die Ewigkeit gelernt, dass Fürsorge nur dann rein und vollkommen ist, wenn sie auch Eigenfürsorge einschließt.“
    Als die Sonne untergegangen war, entzündete ich die Kerzen in den bunten Lampions, die ich in die unteren Äste und Zweige der Linde gehängt hatte. Wir saßen dann noch lange einträchtig beisammen und tranken vom Löwenzahnlikör und schmiedeten Pläne für den Garten. Ich werde nie das Wochenende vergessen, an dem ich die Kräuterspirale baute. Wir besorgten aus einer Gartenbaufirma Natursteine in verschiedenen Größen (was ganz schön ins
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