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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio
Autoren: Astrid Lindgren
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jemand bei mir haben, der so alt war wie ich, mit dem ich all das teilen durfte.
    Aber Benka, der Ärmste, war sicher gerade jetzt im 22
    Tegnerpark, und es war windig und regnete wie gewöhnlich und war dunkel und düster. Und sicher wußte er um diese Zeit schon, daß ich verschwunden war, und überlegte, wo ich wohl hingekommen sein konnte und ob er mich jemals wiedersehen würde.
    Armer Benka! Wir haben viel Spaß zusammen gehabt, Benka und ich, und ich begann, mich nach ihm zu sehnen, wie ich so in meines Vaters, des Königs, Rosengarten umherging. Von all dem Alten, das nun vorbei war, war Benka das einzige, was mir fehlte. Es gab wirklich keinen anderen Menschen, den ich vermißt hätte. Vielleicht noch Tante Lundin, denn sie war immer gut zu mir gewesen. Aber am meisten dachte ich doch an Benka, und eine Weile ging ich still auf dem schmalen Weg im Rosengarten weiter und fühlte, wie das Prickeln wieder aus meinem Körper verschwand. Und ich war ein wenig traurig und ließ den Kopf hängen. Aber dann sah ich auf.
    Und vor mir auf dem Weg stand … ja, fast dachte ich, es sei Benka. Aber er war es nicht. Es war Jum-Jum.
    Natürlich wußte ich nicht, daß es Jum-Jum war. Es war ein Junge. Er hatte das gleiche dunkle braune Haar und 23
    die gleichen braunen Augen wie Benka. »Wer bist du?«
    fragte ich. »Ich bin Jum-Jum«, sagte er.
    Da bemerkte ich, daß er doch etwas anders aussah als Benka, irgendwie ernster und artiger. Benka ist auch artig, so ungefähr wie ich – so mittel, aber es kam doch manchmal vor, daß man aneinandergeriet und sich prügelte. Man konnte schon ab und zu wütend sein.
    Nachher wurde man natürlich wieder gut Freund. Aber mit Jum-Jum konnte man sich gewiß nie prügeln. Dafür sah er rundherum zu artig aus,
    »Willst du wissen, wie ich heiße?« fragte ich. »Ich heiße Bosse … nein, ist ja wahr, Mio heiße ich!«
    »Ich weiß schon, daß du Mio heißt«, sagte Jum-Jum.
    »Unser Herr, der König, hat Boten durch das ganze Land geschickt und allen verkünden lassen: Mio ist heimgekommen.«
    Stellt euch vor: So glücklich war mein Vater, der König, daß er mich gefunden hatte! Er ließ es weit und breit allen sagen. Das war wohl ein klein wenig kindlich von ihm, aber ich wurde sehr froh, als ich es hörte.
    »Hast du einen Vater, Jum-Jum?« fragte ich, und ich hoffte und wünschte, daß er einen hätte. Ich war selbst so 24
    lange ohne Vater gewesen, daß ich wußte, wie traurig das war.
    »Gewiß habe ich einen Vater«, sagte Jum-Jum. »Der Rosengärtner ist mein Vater. Willst du mitkommen und dir ansehen, wo ich wohne?«
    Das wollte ich. Und er lief vor mir her, den Weg entlang, bis zum äußersten Winkel des Rosengartens.
    Dort stand ein kleines weißes Haus mit einem Strohdach, ein Haus wie aus einem Märchen. Die Mauern und das Dach waren so unter Rosen versteckt, daß man vom Haus selbst kaum noch etwas sah. Die Fenster standen offen, und weiße Vögel flogen hinein und heraus, wie sie wollten. Vor dem Haus, am Giebel, standen eine Bank und ein Tisch und eine lange Reihe Bienenkörbe, und die Bienen schwirrten zwischen den Rosen umher. Und ringsum Rosen, Rosen. Und Pappeln und Weiden mit silbernen Blättern. Jemand rief aus der Küche: »Jum-Jum, hast du das Abendbrot vergessen?« Es war Jum-Jums Mutter, die gerufen hatte. Sie trat heraus auf die Schwelle und stand dort und lachte. Und da sah ich, daß sie genauso aussah wie Tante Lundin, vielleicht etwas schöner. Sie hatte auch diese tiefen Grübchen in den 25
    runden Wangen wie Tante Lundin, und sie faßte mich beim Kinn, genau wie Tante Lundin damals, als sie sagte:
    »Leb wohl, leb wohl, Bo Vilhelm Olsson.« Aber Jum-Jums Mutter sagte:
    »Willkommen, willkommen, Mio! Willst du mit Jum-Jum zusammen Abendbrot essen?« »Ja«, sagte ich, »sehr gern – wenn es nicht zuviel Mühe macht.«
    Sie sagte, es mache gar keine Mühe. Jum-Jum und ich setzten uns an den Tisch vor dem Haus. Seine Mutter brachte uns eine Schüssel mit kleinen Eierkuchen, und dazu gab es Erdbeerkompott und Milch. Wir aßen, Jum-Jum und ich, bis wir beinah platzten, und sahen uns an und lachten.
    Ich war froh, daß es Jum-Jum gab. Einer von den weißen Vögeln kam herbeigeflogen und schnappte sich einen Eierkuchen von meinem Teller, und da lachten Jum-Jum und ich noch mehr.
    In diesem Moment kam mein Vater, der König, mit Jum-Jums Vater, dem Rosengärtner. Ich wurde plötzlich etwas ängstlich, denn mein Vater, der König, mochte es vielleicht
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