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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio
Autoren: Astrid Lindgren
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ritt.
    Er klatschte in die Hände und rief: »Mio reitet auf Miramis, Mio reitet auf Miramis!«
    Ich hielt Miramis an und fragte Jum-Jum, ob er auch reiten wolle. Das wollte er natürlich. Schnell kletterte er hinauf und setzte sich hinter mich. Und wir ritten hinaus auf die grünen Wiesen, die vor dem Rosengarten lagen.
    35
    Das Reich meines Vaters, des Königs, ist sehr groß. Das Land der Ferne ist das größte aller Reiche. Es zieht sich nach Osten und Westen, nach Norden und Süden. Die Insel, auf der mein Vater, der König, sein Schloß hat, heißt Insel der grünen Wiesen. Aber sie ist nur ein kleiner Teil vom Land der Ferne. Nur ein kleiner, kleiner Teil.
    »Das Land auf der anderen Seite des Wassers und hinter den Bergen, das gehört auch unserem Herrn, dem König«, sagte Jum-Jum, als wir über die grünen Wiesen vor dem Rosengarten ritten. Ich dachte an Benka, als wir so im Sonnenschein dahinflogen. Der Ärmste, wenn er vielleicht jetzt gerade in der Upplandsgatan stand, da stand im Sprühregen und im Düstern, während ich hier umherritt auf der Insel der grünen Wiesen und glücklich war. Es war so schön hier. Das Gras war zart und grün, kleine Blumen leuchteten überall, weiche, grüne Hügel wölbten sich, klare Bäche rieselten von den Hügeln, und wollige Lämmer weideten im Grase. Dort ging ein Hirtenjunge und spielte auf einer kleinen Weidenflöte.
    Eine eigenartige Melodie spielte er auf, und es schien mir, als hätte ich sie früher schon einmal gehört, ich wußte nur nicht, wo. In der Upplandsgatan hatte ich sie 36
    nicht gehört, das war ganz sicher.
    Wir hielten und sprachen mit dem Hirtenjungen. Er hieß Nonno. Ich bat ihn, mir eine Weile seine Flöte zu leihen.
    Er gab sie mir, und er lehrte mich, die eigenartige Melodie zu spielen.
    »Ich kann euch Flöten schneiden«, sagte Nonno. »Wenn ihr wollt, natürlich.«
    Wir sagten, wir wollten sehr gern jeder eine Flöte haben. Ganz in der Nähe plätscherte ein Bach. Eine Weide reckte ihre Zweige über das Wasser. Nonno lief dorthin und schnitt einen Zweig von der Weide. Und Jum-Jum und ich saßen am Bach und planschten mit den Füßen im Wasser, während Nonno uns Flöten schnitzte.
    Auch Jum-Jum lernte diese eigenartige Melodie spielen.
    Nonno sagte, es sei eine alte Melodie, die schon in der Welt gewesen sei, bevor es andere Melodien gegeben habe. Vor tausend und abertausend Jahren schon hätten die Hirten sie draußen auf den Wiesen gespielt. Wir dankten ihm für die Flöten und dafür, daß er uns die alte Melodie gelehrt hatte. Dann stiegen wir wieder auf Miramis und ritten weiter. Und wir hörten Nonno auf seiner Flöte spielen, bis die Melodie leiser und leiser und 37
    immer leiser wurde.
    »Wir wollen gut auf unsere Flöten achten«, sagte ich zu Jum-Jum. »Und sollten wir uns einmal verlieren, dann wollen wir diese Melodie spielen.« Jum-Jum hatte sich fest an mich geklammert, um nicht vom Pferd zu fallen.
    Er lehnte seinen Kopf an meinen Rücken und sagte: »Ja, Mio, wir wollen auf unsere Flöten achten. Und wenn du mich auf meiner Flöte spielen hörst, dann weißt du, daß ich dich rufe.« »Ja«, sagte ich, »und wenn du mich diese Melodie spielen hörst, dann weißt auch du, daß ich dich rufe.« »Ja«, sagte Jum-Jum und hielt mich fest. Und ich dachte: Er ist mein bester Freund. Neben meinem Vater, dem König, natürlich. Meinen Vater, den König, liebte ich mehr als alle anderen auf der Welt. Aber Jum-Jum war ein Junge wie ich, und er war jetzt mein bester Freund, jetzt, da ich Benka nicht mehr treffen konnte.
    Denkt nur, ich hatte meinen Vater, den König, und Jum-Jum und Miramis, und ich ritt über grüne Wiesen und Hügel, schneller als der Wind. Es war nicht
    verwunderlich, daß ich glücklich war.
    »Wie kommt man in das Land auf der anderen Seite des Wassers und hinter den Bergen?« fragte ich. »Über die 38
    Brücke des Morgenlichts«, sagte Jum-Jum. »Wo ist die Brücke des Morgenlichts?« fragte ich. »Bald werden wir sie sehen«, sagte Jum-Jum. Und dann sahen wir sie. Es war eine Brücke, so hoch und so lang, daß man nicht sah, wo sie zu Ende war. Sie glänzte in der Morgensonne, und sie sah aus, als wäre sie aus goldenen Strahlen erbaut.
    »Es ist die längste Brücke der Welt«, sagte Jum-Jum.
    »Sie verbindet die Insel der grünen Wiesen mit dem Land auf der anderen Seite des Wassers. Aber zur Nacht läßt unser Herr, der König, sie einziehen, damit wir auf der Insel der grünen Wiesen in Ruhe schlafen
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