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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio
Autoren: Astrid Lindgren
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brennenden Flügeln.
    Milimani, o Milimani!
    Stumm schläft sie und erwacht nie mehr,
    und nie mehr fliegt Milimani
    mit klagendem Schrei über finsteres Wasser dahin.«
    »Nein, weil es kein finsteres Wasser mehr gibt«, sagte Jum-Jum. »Nur kleine, freundliche Wellen gibt es, und sie singen für Milimani, wenn sie am Strand liegt und schläft.«
    »Wenn wir doch nur etwas hätten, um sie einzuhüllen«, sagte Jiris Schwester. »Etwas Weiches, damit sie auf den Steinen nicht so hart liegt.«
    »Wir hüllen Milimani in meinen Mantel«, sagte ich.
    »Wir hüllen sie in den Stoff, den ihre Mutter gewebt hat.«
    Und ich hüllte Milimani in meinen Mantel, der mit Märchengewebe gefüttert war. Weicher als Apfelblüten war er, sanfter als der Nachtwind im Gras, wärmer als des Herzens rotes, rotes Blut, und es war ihre Mutter, die 169
    ihn gewebt hatte. Ganz vorsichtig hüllte ich Milimani in meinen Mantel, damit sie weich auf den Steinen liegen konnte.
    Da schlug Milimani die Augen auf und sah mich an.
    Zuerst lag sie still und sah nur mich an. Dann richtete sie sich auf und erblickte all die Kinder und war erstaunt.
    Dann sah sie sich weiter um und sah noch erstaunter aus.
    »Wie blau der See ist«, sagte sie.
    Mehr sagte sie nicht. Sie streifte den Mantel ab und stand auf. Es war kein Mal von Feuer mehr an ihr zu sehen, und alle waren wir glücklich, weil sie wieder lebendig geworden war.
    Draußen auf dem Wasser glitt ein Boot heran. Mit gewaltigen Ruderschlägen kam jemand herbei. Als das Boot näher kam, sah ich, es war der Schwertschmied, der ruderte, und er hatte Eno bei sich. Bald stieß ihr Boot gegen die Ufersteine, und sie sprangen an Land.
    »Was habe ich gesagt?« rief der Schwertschmied mit rollender Stimme. »Bald kommt Ritter Katos letzter Kampf, habe ich gesagt.«
    Eno kam eilig zu mir. »Ich wollte dir nur etwas zeigen, Prinz Mio«, sagte er. Er streckte seine runzlige Hand vor 170
    und zeigte, was er darin hatte. Es war ein kleines grünes Blatt. So ein dünnes, durchsichtiges, zartes Blatt war es, dünn und zart und lichtgrün, mit feinen Adern darin.
    »Das ist im Toten Wald gewachsen«, sagte Eno. »Ich fand es vorhin an einem Baum im Toten Wald.« Er nickte zufrieden; sein kleiner grauer, strohiger Kopf bewegte sich auf und nieder.
    »Jeden Morgen will ich jetzt in den Toten Wald gehen, um zu sehen, ob noch mehr Blätter gewachsen sind«, sagte er. »Dies Blatt aber, dies hier, darfst du behalten, Prinz Mio.«
    Er legte das Blatt in meine Hand. Es war bestimmt das Kostbarste, was er verschenken konnte. Dann nickte er wieder und sagte: »Ich saß da und wünschte, daß es dir gutgehen möge, Prinz Mio. Ich saß da in meiner Hütte und wünschte immer nur, daß es dir gutgehen möge.«
    »Was habe ich gesagt?« rief der Schwertschmied. »Bald kommt Ritter Katos letzter Kampf, habe ich gesagt.«
    »Wie hast du dein Boot zurückbekommen?« fragte ich den Schwertschmied.
    »Die Wellen haben es über den See zurückgebracht«, sagte der Schwertschmied.
    171
    Ich sah über den See zum Berg des Schwertschmiedes und zu Enos Häuschen. Mehr Boote kamen jetzt herbei.
    Viele Boote kamen draußen auf dem Wasser näher, und es saßen Menschen darin, die ich nicht kannte. Blasse, kleine Menschen, die in die Sonne blickten und auf den See und die erstaunt und glücklich aussahen. Sicher hatten sie nie zuvor die Sonne gesehen. Nun aber schien sie hell über den See und über die Felsen rundherum.
    Und es war alles so schön.
    Nur der große Steinhaufen oben auf dem Bergfelsen war nicht schön. Aber eines Tages, dachte ich, wächst Moos über den Steinhaufen. Einmal wird er gut verborgen sein unter weichem grünem Moos, und niemand wird mehr wissen, daß Ritter Katos Burg darunterliegt. Ich habe einmal rosafarbene Blumen gesehen, die auf Moos blühten. Sie sahen aus wie kleine Glocken, und sie wuchsen in langen Ketten. Einmal werden vielleicht solche kleinen Glocken in dem Moos über Ritter Katos Burg blühen. Das wird schön aussehen, glaube ich.
    Der Heimweg war lang, jedoch leicht zu gehen. Die kleinsten Kinder durften auf Miramis reiten, und die allerkleinsten ritten auf dem Fohlen. Das fanden sie 172
    herrlich. Wir anderen gingen zu Fuß, bis wir an den Wald der Dunkelheit kamen.
    Inzwischen war es Nacht geworden. Es war ganz still, als wir zwischen die Bäume des Mondscheinwaldes traten. Aber dann wieherte Miramis wild und laut, und weit entfernt im Wald der Dunkelheit antworteten hundert weiße Pferde ebenso
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