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Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio
Autoren: Astrid Lindgren
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dröhnte in meinem Kopf. Und mein Vater, der König, fiel mir ein, und ich wußte, daß er an mich dachte.
    »Jetzt, Jum-Jum«, sagte ich, »jetzt kommt Ritter Katos letzter Kampf.«
    Jum-Jum wurde blaß, und seine Augen glänzten
    sonderbar.
    »Wie öffnest du die sieben Schlösser?« fragte er. »Wie kommst du an den siebenundsiebzig Spähern vorbei?«
    »Die sieben Schlösser öffne ich mit meinem Schwert«, sagte ich. »Und mein Mantel verbirgt mich vor den siebenundsiebzig Spähern.«
    Ich legte den Mantel über meine Schultern. Das Märchengewebe schimmerte in der Dunkelheit. Es schimmerte, als wollte es Ritter Katos ganze Burg erhellen. Jum-Jum aber sagte:
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    »Ich sehe dich nicht, Mio. Und doch weiß ich, daß du da bist. Ich werde auf dich warten, bis du zurückkommst.«
    »Und wenn ich niemals zurückkomme …« sagte ich und schwieg gleich wieder. Denn ich konnte ja nicht wissen, wer von uns siegen würde: Ritter Kato oder ich.
    Es wurde still in unserem Gefängnis. Eine lange Zeit war es völlig still. Endlich sagte Jum-Jum: »Wenn du nicht mehr zurückkommst, Mio, dann wollen wir aneinander denken. Wir wollen aneinander denken, solange wir können.«
    »Ja, Jum-Jum«, sagte ich. »Ich will in meiner letzten Stunde an dich und an meinen Vater, den König, denken.«
    Ich hob mein Schwert, und es schnitt durch die Eisentür, als sei sie aus Teig. Für ein Schwert, das durch Stein schneiden konnte, war eine Eisentür nichts anderes als Teig. Und genauso lautlos, als hätte ich durch Teig geschnitten, glitt das Schwert durch das harte Eisen. Und ebenso leicht schnitt ich mit einigen raschen Schnitten die gewaltigen Schlösser heraus.
    Ich öffnete die Tür. Es knirschte ein wenig. Die sieben Späher standen auf Wache vor der Tür. Alle wandten 157
    sich zur Tür um, als sie das Knirschen hörten. Und ich stand da in meinem schimmernden Märchengewebe und glaubte, es leuchte so stark, daß sie mich sehen müßten.
    »Ich hörte ein Knirschen in der Nacht«, sagte einer der Späher.
    »Ja, etwas knirschte in der Nacht.« Sie spähten nach allen Richtungen, aber mich sahen sie nicht.
    »Sicher war es ein böser Gedanke von Ritter Kato, der vorbeiknirschte«, sagte ein anderer Späher. Aber ich war schon weit fort.
    Ich hielt mein Schwert, und ich hielt meinen Mantel. Ich lief, so schnell ich konnte, auf Ritter Katos Kammer zu.
    Überall, in den Sälen, auf den Treppen und in den Gängen, standen die Späher und hielten Wache. Die große, finstere Burg war voller schwarzer Späher. Aber mich sahen sie nicht. Mich hörten sie nicht. Und ich lief weiter, auf Ritter Katos Kammer zu. Ich fühlte mich nicht länger ängstlich. Noch nie war ich weniger ängstlich gewesen. Nun war ich nicht mehr der Mio, der im Rosengarten Hütten baute und auf der Insel der grünen Wiesen spielte. Ich war ein Ritter auf dem Weg zum Kampf. Und ich lief weiter, auf Ritter Katos 158
    Kammer zu.
    Ich lief schnell. Mein Märchenmantel flatterte hinter mir und leuchtete in der finsteren Burg. Und ich lief weiter, auf Ritter Katos Kammer zu. Das Schwert brannte wie Feuer in meiner Hand, es leuchtete und flammte. Fest umspannte ich den Knauf. Und ich lief weiter, auf Ritter Katos Kammer zu. Ich dachte an meinen Vater, den König. Ich wußte, daß er an mich dachte. Jetzt, jetzt sollte der Kampf beginnen. Er schreckte mich nicht. Ich war ein Ritter ohne Furcht, ein Ritter mit einem Schwert in der Hand, Und ich lief weiter, auf Ritter Katos Kammer zu. Es brauste und dröhnte in meinem Kopf, als tose ein Wasserfall. Ich stand vor der Tür zu Ritter Katos Kammer. Ich öffnete die Tür. Ritter Kato saß an seinem Steintisch. Er hatte mir den Rücken zugekehrt. Um ihn glühte seine Bosheit.
    »Dreh dich um, Ritter Kato«, rief ich. »Nun kommt dein letzter Kampf.«
    Er wandte sich um. Ich riß meinen Mantel von den Schultern, und da stand ich vor ihm mit dem Schwert in meiner Hand. Sein abscheuliches Gesicht schrumpfte zusammen und wurde grau, und in seinen abscheulichen 159
    Augen waren Haß und Angst. Hastig ergriff er sein Schwert, das neben ihm auf dem Tisch lag. Und dann begann Ritter Katos letzter Kampf. Wohl hatte er ein furchtbares Schwert, aber es war nicht so furchtbar wie meins. Mein Schwert blitzte, es leuchtete und flammte, es fuhr wie Feuer durch die Luft und traf Ritter Katos Schwert ohne Barmherzigkeit. Eine Stunde dauerte der Kampf, auf den man seit tausend und abertausend Jahren gewartet hatte. Der stumme, grausame Kampf, in dem
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