Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mio, mein Mio

Mio, mein Mio

Titel: Mio, mein Mio
Autoren: Astrid Lindgren
Vom Netzwerk:
mein Schwert wie eine Feuerflamme durch die Luft fuhr und Ritter Katos Schwert traf und es ihm endlich aus der Hand schlug. Ritter Kato stand vor mir. Ohne Waffe!
    Und er wußte, daß der Kampf zu Ende war. Da riß er sein schwarzes Wams über der Brust auf. »Sieh zu, daß du das Herz triffst!« schrie er. »Sieh zu, daß du mein Herz aus Stein durchbohrst! Es hat lange genug in meiner Brust gescheuert und weh getan.« Ich sah in seine Augen.
    Und in seinen Augen sah ich, daß Ritter Kato sich danach sehnte, sein Herz aus Stein loszuwerden. Vielleicht haßte niemand Ritter Kato mehr als er sich selbst. Ich wartete nicht länger. Ich hob mein flammendes Schwert, ich hob es ganz hoch und stieß es tief in Ritter Katos Herz aus 160
    Stein. Im selben Augenblick war Ritter Kato
    verschwunden. Er war fort. Auf dem Boden aber lag ein Haufen Steine. Nur ein Haufen Steine lag dort. Und eine Klaue aus Eisen.
    Auf dem Fensterbrett in Ritter Katos Kammer saß ein kleiner grauer Vogel und pickte an die Fensterscheiben.
    Sicher wollte er hinaus. Ich hatte den Vogel vorher nicht gesehen. Ich wußte nicht, wo er sich versteckt gehalten hatte. Ich ging zum Fenster und öffnete es, damit der Vogel fortfliegen konnte. Und er warf sich hinaus in die Luft und begann zu trillern. Sicher hatte er lange in Gefangenschaft gesessen.
    Ich blieb am Fenster stehen und sah den Vogel fliegen.
    Und ich sah: Die Nacht war vorbei, und der Morgen war gekommen.
    161
    Mio, mein Mio

    Ja, es war Morgen geworden, und es war schönes Wetter. Die Sonne schien. Leichte, weiche Sommerwinde kamen und zausten in meinem Haar, als ich dort am Fenster stand. Ich beugte mich hinaus und sah hinunter über den See. Und es war ein freundlicher, blauer kleiner See, in dem sich die Sonne spiegelte. Die verzauberten Vögel waren verschwunden.
    Welch ein schöner Tag war es doch, gerade ein solcher Tag, an dem es sich gut spielen läßt. Ich sah auf das Wasser hinunter, das sich im Morgenwind kräuselte. Ich bekam große Lust, etwas in den See zu werfen. Das will ich immer, wenn ich Wasser sehe. Wie mußte es plumpsen, wenn man etwas von so hoch oben
    hineinwarf! Ich hatte nichts anderes hineinzuwerfen als mein Schwert, und ich ließ es fallen. Es war lustig anzusehen, wie das Schwert durch die Luft fiel und aufschlug. Das Wasser sprang empor, und große Ringe entstanden auf dem Wasserspiegel, große, schöne Ringe, die größer und größer wurden und sich über den ganzen See ausbreiteten. Es sah wunderschön aus. Aber ich hatte 162
    keine Zeit, da zu stehen und abzuwarten, bis die Ringe verschwunden waren. Ich mußte zu Jum-Jum zurück und mußte mich beeilen. Ich wußte, er war unruhig und wartete auf mich.
    Denselben Weg, den ich vor einer Stunde gelaufen war, lief ich nun zurück. Die großen Säle und die langen Gänge lagen leer und verlassen da. Nicht ein schwarzer Späher war mehr zu sehen. Sie waren alle fort. Die Sonne schien in die öden Säle. Durch die Gitterfenster schien sie auf die Spinnweben, die unter den Gewölben hingen, und man konnte erkennen, wie alt und häßlich die Burg war.
    Überall war es öde und still. Plötzlich bekam ich Angst, auch Jum-Jum könnte fort sein. Und ich lief schneller und schneller. Als ich dem Turm näher kam, hörte ich Jum-Jum auf seiner Flöte spielen. Da wurde ich ruhig und glücklich.
    Ich öffnete die Tür zu unserem Gefängnis. Dort saß Jum-Jum auf dem Boden. Seine Augen strahlten, als er mich sah, und er sprang auf und rief:
    »Ich mußte die ganze Zeit Flöte spielen. Ich war so unruhig.«
    163
    »Nun brauchst du nicht mehr unruhig zu sein«, sagte ich.
    Wir waren froh und glücklich, Jum-Jum und ich. Wir sahen uns immer nur an und lachten.
    »Jetzt gehen wir fort von hier«, sagte ich. »Wir gehen fort und kommen niemals wieder.«
    Wir faßten uns an den Händen und liefen hinaus aus Ritter Katos Burg. Hinaus in den Burghof liefen wir.
    Und wer galoppierte mir entgegen? Miramis! Mein Miramis mit der Goldmähne. Und an seiner Seite lief ein kleines weißes Fohlen. Miramis kam auf mich zu, und ich schlang meine Arme um seinen Hals und drückte lange, lange seinen schönen Kopf an meinen und flüsterte ihm ins Ohr: »Miramis, mein, mein Miramis.« Und Miramis sah mich mit seinen treuen Augen an, und ich wußte, daß er sich genauso sehr nach mir gesehnt hatte wie ich mich nach ihm.
    Mitten im Burghof stand ein Pfahl, und neben ihm lag eine Kette. Da wußte ich, daß auch Miramis verzaubert gewesen war. Er war das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher