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Minuszeit

Minuszeit

Titel: Minuszeit
Autoren: James White
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es war ein großer Spaß. Dann kam eine Zeit, wo es dunkel blieb, ob er die Augen öffnete oder schloß. Das machte ihn zornig, und er weinte. Er wusste zu der Zeit nicht, was Zorn oder Weinen war, aber er tat es trotzdem, und es wurde hell.
    Die Gesichter von einem Mann und einem Mädchen blickten auf ihn herab. Das Mädchen legte eine Hand auf seine Stirn und streichelte ihn leicht. Er wusste auch nicht, was Mann, Mädchen, Gesichter, Hand und Stirn waren, aber er konnte sehen und fühlen. Er hörte zu weinen auf.
    »Sind Sie sicher, dass ihm nichts fehlt?« fragte der Mann mit besorgt gerunzelter Stirn.
    »Sehen Sie, wie er seine Augen öffnet und schließt«, sagte das Mädchen. »Er spielt eine Art Spiel. Das ist ein sehr gutes Zeichen …«
    Die Wörter und Bilder und Geräusche gingen in sein Bewußtsein und kreisten dort endlos, ohne einen Ort zu finden, wo sie hingehörten und zur Ruhe kommen konnten. Ohne zu wissen, warum oder wie, fühlte er eine Gewißheit, dass die Sinneseindrücke bei ihm bleiben und dass er in der Lage sein würde, sich an sie zu erinnern, wann immer er es wollte. Und am nächsten Tag, als er entdeckte, dass er mit seinen Fingern spielen konnte, empfand er den Anblick und die weichen Hände des Mädchens als sehr angenehm, obwohl er auch nicht wusste, was das bedeutete.
    Sie legten ihn auf den Boden, und er lernte sich herumwälzen, kriechen und gehen, wobei er sich an den Möbelstücken festhielt. Er lernte mit einem Löffel essen, statt aus einer Flasche zu saugen. Er freute sich auf die Essenszeit, weil es bedeutete, dass das Mädchen einen Arm um seine Schultern legte, um ihm sicheren Halt zu geben, und er die Seite seines Gesichts an sie drücken konnte. Als sie ihn lehrte, seinen eigenen Löffel zu halten und zu gebrauchen und beim Essen an einem Tisch zu sitzen, weinte er zuerst. Aber dann lenkte sie seine Aufmerksamkeit ab, indem sie ihm das Gras und die Blumen auf der Wiese und die Wolken am Himmel zeigte und ihm mit einer freundlichen Pantomime demonstrierte, wie das Fensterglas seinen Kopf verletzen konnte, wenn er ihn durchzustoßen versuchte. Sie lehrte ihn, wie er allein auf die Toilette gehen konnte und wie er komplizierte Kleider an- und auszuziehen hatte …
    Aber sie legte immer ihre Arme um ihn und hielt ihn eine Weile so, bevor er einschlief.
    Er wusste noch immer nicht, was die Dinge waren, die er erlebte, außer zwischen den Zeiten, wo er sich schlafen legte und wo er aufwachte. Dann geschah etwas, das ihn manchmal ängstigte, aber er dachte, er verstehe es beinahe.
    Ohne zu wissen, was »Geist« und »Glas« und »schwarz« waren, dachte er sich seinen Geist hinter einer schwarzen Glasscheibe. Wenn er etwas Neues lernte oder sah oder berührte, erschien in dem schwarzen Glas ein winziges strahlendes Loch, von dem die feinen Risse von Assoziationen in alle Richtungen ausstrahlten. Es war sicher, dass die Dinge, die sich ständig um ihn her ereigneten, die Risse verbreitern und verlängern und das Netzwerk von Assoziationen verdichten und ausweiten würden, bis alle diese winzigen, strahlenden Sterne des Wissens untereinander verbunden wären.
    Er wusste nicht, was Risse und Assoziationen und Sterne waren, aber Sterne erregten ihn, und es war sehr frustrierend, nicht zu wissen, was es war, über das er nachdachte.
    »Nein«, sagte das Mädchen, das neben seinem Stuhl stand und eine Hand auf seinem Kopf hatte, »es hat keinen Sinn, mit dem Alphabet oder mit Kindergarten-Lernhilfen anzufangen. Er soll sich erinnern, wie man liest; er soll es nicht neu lernen, auch wenn er sehr schnell lernt. Diesmal versuchen wir es mit einem illustrierten Lexikon, Flugzeitschriften und Papierkram aus der Firma. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einen Fernseher aufstellen würden, und einen Projektor und eine Leinwand. Es ist an der Zeit, dass wir ihn ein wenig antreiben …«
    »Überstürzen Sie die Dinge nicht ein bißchen«, sagte der Mann auf seiner anderen Seite. »Ich will Sie nicht kritisieren, Doktor. Ich weiß, wie Ihnen zumute sein muß.«
    »Ich frage mich, ob Sie es wissen«, antwortete sie seufzend. »Ja, und ich bin auch für ein Tonbandgerät, das unauffällig und unaufdringlich laufen sollte, bei Tag und bei Nacht. Die üblichen Bänder, natürlich – Stimmen, seine eigene Stimme, Verkehrslärm, Fabrikgeräusche, bevorzugte Musik …«
    Seine Assoziationen zwischen dem Anblick und dem Klang von Menschen erfuhren von da an eine dramatische Ausweitung. Er konnte sie
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