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Minuszeit

Minuszeit

Titel: Minuszeit
Autoren: James White
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und Erinnerungen fort, herausgerissen; sie waren nie geschehen.
    Es ist möglich«, fuhr Carson fort, »dass dieser plötzliche Umkehrungsprozeß, die so gewaltsame Entfernung der Gedanken, Eindrücke und Erinnerungen mehrerer Tage mit all ihren Querverbindungen einen ernsten geistigen Schock erzeugt, der sich in vollständigem Gedächtnisverlust ausdrückt. Alles was während der Periode der Minusreise im Geist vorging, ist für immer verloren, aber die früheren Erinnerungen existieren weiter, nur kehren sie wegen des Amnesieschocks erst allmählich und unter großen Schwierigkeiten zurück.
    Diese Erklärung paßt zu dem, was wir über Pebbles vor und nach seiner ersten Minusreise wissen …«
    Die roten Zeiger auf dem Armaturenbrett sagten ihm, dass er weniger als zwanzig Minuten hatte, und der rote Knopf starrte ihn ein wenig wie Donovans Pistole an. In achtzehn Minuten würde er Selbstmord begehen, und er fragte sich, ob es irgendeine Möglichkeit zur Rückkehr gebe, ohne dabei um den Verstand zu kommen …
    »Ich hoffe, dass mein eigener Fall etwas anders sein wird«, fuhr er hastig fort, »weil ich nicht auf dem zeitraubenden Weg hier herausgekommen bin. Meine einzige Geistestätigkeit seit dem Start hat während der Stunde stattgefunden, die ich hier bin; eine Stunde, bedenken Sie, gegenüber mehreren Tagen bei Tillotson und Pebbles. Ich hoffe, dass der geistige Schock des Herausreißens dieser einen Stunde aus meinem Gedächtnis geringer sein wird als bei meinen Vorgängern. Wenn dies so ist, dann sollte meine .Heilung’ rascher vonstatten gehen als bei John Pebbles. Überdies kann ich erwarten, von vertrauten Menschen und Dingen umgeben zu sein, und diese Menschen wissen genau, was mit mir geschehen ist.
    Die Menschen, die John Pebbles aufnahmen und pflegten, wußten nicht, was sie tun sollten, und sie redeten in einer ihm fremden Sprache.«
    Carson holte tief Atem, dann endete er: »Was meinst du, Jean? Klingt das vernünftig?«
    Aber es war Daniels, dessen Stimme zuerst hereinkam.
    »Ich glaube, Sie haben die Antwort, Carson! Ich glaube, das ist es! Und Sie können sich darauf verlassen, dass wir alles tun werden, Ihr Gedächtnis so bald wie möglich wiederherzustellen. Doktor Marshall hat bereits damit angefangen. Offenbar gibt es verschiedene Medikamente, die den Prozeß möglicherweise fördern können … Ich muss jetzt in die Kontrollstation, Carson. Danke für Ihren Hinweis. Sie haben noch etwa zehn Minuten.«
    Jean sagte: »Wie fühlst du dich?«
    Carson fühlte sich ängstlich, aber er war auch ärgerlich. Sie behandelte ihn bereits wie einen Patienten. Aber schließlich war er schon ihr Patient und würde es in den nächsten Monaten oder Jahren bleiben.
    »Ich wollte nie dein Patient sein, Jean«, sagte er bitter. »Meine Hoffnungen waren immer auf eine weniger berufsmäßige Beziehung gerichtet.«
    Es dauerte viel länger als zwei Minuten, bis ihre Antwort zurückkam. Dann hörte er sie lachen, aber es war kein echtes, befreiendes Lachen. Es war jenes Geräusch, das jemand macht, der nicht weiß, ob er lachen oder weinen soll. Sie sagte:
    »Ich weiß, dass ich sagte, ich zöge gesunde Freunde kranken Patienten vor, Joe. Aber mach dir bitte deswegen keine Sorgen. Du bist ein besonderer Fall, und … und wenn ein Baby gepflegt und versorgt werden muss, dann bedeutet es ja nicht; dass es krank ist …«
    Er hatte nur noch wenige Minuten übrig, und sosehr er sich mühte, es fiel ihm nichts ein, was er noch sagen könnte. Er beugte sich zum Fenster und schirmte seine Augen mit der Rechten gegen das grelle Sonnenlicht ab. Er dachte an Jean und blickte hinaus in die schwarze Unendlichkeit des Raumes und versuchte, sie und das seltsame Schauspiel unauslöschlich seinem Gedächtnis einzuprägen, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es vergeblich sei. Er versuchte, sich an alles zu erinnern, das er je erlebt hatte, er versuchte, all diese Großartigkeit in sich hineinzutrinken, die gewaltige und unglaubliche Majestät des Kosmos, denn sie war das letzte, was er in seinem gegenwärtigen Leben erfahren würde …
    Der Zähler zeigte minus fünf Sekunden.
    »Jean«, sagte er sehr ernst, »bitte laß nicht zu, dass ich dich vergesse …«

 
20.
     
    An dem Tag, als er lernte, dass er nach Belieben Licht und Dunkelheit machen konnte, indem er seine Augen öffnete und schloß, war er sehr über sich erfreut. Er wusste nicht, was Tag oder Licht oder Dunkelheit oder Augen waren, aber er konnte es machen, und
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