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Mina (German Edition)

Mina (German Edition)

Titel: Mina (German Edition)
Autoren: David Almond
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Schweine und wunderschön glänzende, laut kreischende Pfauen auf die Besucher warten. Winzige Kinder sitzen in Kinderwagen, Kleinkinder gehen auf unsicheren Beinen an der Hand ihrer Mütter. Sie beugen sich vor und flüstern den Ziegen und Schweinen etwas zu, genau wie ich früher. Ich schaue zu, und es ist, als ob ich in der Zeit zurückblicke. Ich denke an das neue Baby in unserer Straße. Ich glaube, es ist ein Mädchen. Sie wird auch hierherkommen, es wird gar nicht lange dauern, da wird sie sich vorbeugen und den Ziegen und Schweinen etwas zuflüstern.
    Vielleicht werde ich sie begleiten. Vielleicht werde ich ihre Hand halten und mit ihr durch den Park spazieren und sie dann wieder nach Hause bringen. Bei dieser Vorstellung halte ich die Luft an vor lauter Freude. Ein kleines Mädchen in unserer Straße. Ein kleines Mädchen, das meine Freundin sein kann!
    Wir gehen weiter. Wir gehen über den ansteigenden Weg, der zum Ausgang des Parks führt. Die Vögel in den Hecken und im Unterholz veranstalten einen Heidenlärm. Wir gehen durch das Eingangstor. Vor dem Park befindet sich eine Reihe von kleinen Läden. Ein Friseur – „Haarmonie“ – ein chinesischer Imbiss – „Mjam Mjam“ – und „Panis Pizzapalast“.
    Wir gehen weiter. Wir besprechen nicht, wohin wir gehen, aber wir beide wissen, wo unser Weg uns hinführt. Wir gehen an den Läden vorbei. Wir kommen an eine lebhafte Straße.
    Die Au-tos brum-men ne-ben uns.
    Die Au-tos brum-men ne-ben uns.
    Die Au-tos brum-men ne-ben uns.
    Wir erreichen ein weiteres Tor. Es ist groß und imposant, und wir gehen hindurch. Wir sind auf dem Friedhof. Bleiben einen Moment stehen. So viele Gräber, so viele Körper, so viele Seelen, so viele Menschen, die nicht mehr da sind. Eine Reihe nach der anderen nach der anderen. Und Grabmale, Engel, Kreuze, Grabplatten und eingravierte Namen und Daten und Blumenvasen. Und der große, weite Himmel. Und Menschen wie wir, die langsam an den Gräbern entlanggehen, die still stehen, sich über ein Grab beugen, flüstern und beten.
    Wir halten einander an den Händen und gehen weiter. Wir kommen zu Papa und stehen Seite an Seite da.
    „Hallo, Papa“, flüstere ich.
    „Hallo, Liebling“, flüstert Mama.
    Ich hebe ein Bonbonpapier auf, das der Wind auf die Erde über ihm geweht hat. Mama zupft ein wenig Unkraut aus. Ich erinnere mich, wie er mich im Arm gehalten hatte, während er mir vorlas. Mama schließt die Augen und faltet die Hände. Auch sie erinnert sich, nehme ich an, oder sie betet, oder vielleicht erzählt sie ihm auch von Colin Pope.
    „Ich hab dich lieb, Papa“ , flüstere ich.
    Ich weine ein bisschen. Ich weiß, dass, wo immer oder was immer er jetzt auch ist, er nie zurückkommen wird. Es gibt keine Unterwelt, in der die Toten leben. Es gibt keinen Pluto, zu dem man gehen könnte. Es gibt keinen Weg zurück. Aber es ist schön, hier zu stehen, zu zweit, und die Erinnerung an Papa zu teilen. Ich denke an seinen Atem in der Luft um uns, die Moleküle seines Wassers in den dahinziehenden Wolken, an das Echo seiner Worte in meiner Erinnerung.
    Der Himmel ist so riesig, so blau. Amseln singen und eine einzelne laute und wunderschöne Lerche erhebt ihre Stimme. Ich halte Ausschau nach ihr, aber sie ist so hoch und so weit weg, dass ich sie nicht sehen kann. Ich schaue wieder nach unten, und da schwebt eine weiße Feder vor unseren Füßen zu Boden.
    Mama bückt sich und fängt sie auf. Sie legt sie auf meine Schulter und drückt sie leicht an.
    „Passt perfekt“, sagt sie. „Das ist bestimmt eine von deinen, Mina.“
    „Bestimmt.“
    Sie gibt mir die Feder. Ich breite meine Arme aus und tue so, als würde ich fliegen, wobei ich die Feder zwischen den Fingerspitzen halte. Dann lasse ich sie los. Langsam gleitet sie zu Boden und wird dann über die Wege und Gräber davongeweht.
    „Jetzt nimmt der Wind die Feder auf einen Spaziergang mit“, sage ich. „Und sie wird nicht wissen, wohin die Reise geht, bis sie angekommen ist.“
    Wir bleiben noch ein Weilchen. Wir murmeln noch ein paar Worte, flüstern Auf Wiedersehen und gehen dann davon.
    Die Zeit vergeht so schnell. Der Himmel färbt sich rot, marschiert schon auf die Dämmerung zu. Ich fühle mich leicht, losgelöst, wie eine Feder im Wind, wie ein Wort, das ohne Rhythmus durch die Welt wandert, wie ein sich ständig verlängernder, dahinziehender Strich. Die Luft ist so mild. Ich glaube, Persephone hat sich endlich auf den Weg gemacht.
    „Wir wollen uns
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