Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mina (German Edition)

Mina (German Edition)

Titel: Mina (German Edition)
Autoren: David Almond
Vom Netzwerk:
Mädchen am Ende der Straße. War das möglich?
    „Na ja“, sagt Sophie. „Vielleicht sind wir anderen nicht ganz so abgedreht wie du. Aber immerhin ein bisschen.“
    „Sophie!“, rufen die Mädchen wieder.
    Sie zuckt mit den Schultern und lächelt. „Es ist nichts dabei, abgedreht zu sein, oder?“
    „Nein“, zwitschere ich.
    „Wenn du in die Schule zurückkommen würdest, würde ich dir helfen.“
    „Danke“, flüstere ich.
    „Also“, sagt sie und springt ein paarmal auf und ab. „Ich wollte dir bloß meine Humpellosigkeit zeigen.“
    Sie springt noch einmal und noch einmal.
    „Humpellosigkeit“, flüstere ich. „Hum-pel-lo-sig-keit.“
    „Nicht schlecht, was?“, sagt Sophie.
    „Nein. Nicht schlecht. Sehr gut sogar.“
    „Ich wollte bloß mal Hallo sagen. Und jetzt sage ich Auf Wiedersehen.“
    Und dann ist sie weg. Ich sage Auf Wiedersehen, aber sie ist nicht mehr da. Ich will vom Baum springen, ihr nachlaufen, sie am Arm packen und ihr sagen, dass sie auch nett ist und dass ich mich für sie freue und dass … Aber ich tue es nicht. Sie geht zu ihren Freunden zurück. Ich schließe die Augen.
    „Dumme Mina“, krächze ich.
    „Sie denkt an mich“, zwitschere ich.
    „Sie sagt, ich sei nett“, flüstere ich.
    „Humpellosigkeit“, murmele ich, und dann schreibe ich langsam zwei bezaubernde Wörter in mein Buch.

    Da stehen sie nun, zwei funkelnagelneue Wörter, erschaffen von Sophie Smith und niedergeschrieben von mir. Vielleicht ist sie ja tatsächlich auch abgedreht.
    Sie ist mit ihren Freundinnen aus meiner Straße verschwunden.
    Ich schreibe weiter, ganz scheu, ganz schüchtern: Sophie ist nett. Ich wünschte, sie wäre noch ein bisschen länger geblieben. Ich wünschte, ich hätte sie gebeten, noch ein bisschen zu bleiben. Dumme, dumme Mina!
    Ich denke an das, was Sophie über Mrs Scullery gesagt hat, und das bringt mich dazu, über Mrs Scullery nachzudenken. Wieder schreibe ich:
    EIN GESTÄNDNIS . Okay, vielleicht war Scullery gar nicht so schrecklich und schrill, wie ich sie dargestellt habe. Und vielleicht war der SCHULLEITER auch nicht so verbohrt. Und vielleicht zeigten beide ein bisschen mehr Verständnis, als ich zugegeben habe. Aber wenn man Geschichten schreibt, muss man das machen: Man muss ÜBERTREIBEN , weil doch ansonsten die ganze DRAMATIK flöten geht! So etwas machen Schriftsteller nun einmal!! Klar?
    Komisch, wie man sich manchmal so zerbrechlich und klein fühlen kann und dann wieder so mutig und kühn und sorglos und frei und … Geht das allen Menschen so? Fühlen sich Erwachsene immer erwachsen und vernünftig und selbstsicher und …? Und will ich mich erwachsen fühlen? Will ich aufhören, mich paradox und nonsensisch zu fühlen? Will ich aufhören, abgedreht zu sein? Will ich diese Antimerkwürdigkeitsoperation?
    Oh ja, manchmal wünsche ich mir nichts sehnlicher als das. Aber das dauert bloß einen Moment, und dann möchte ich wieder die merkwürdigste und abgedrehteste Person auf der ganzen Welt sein, will … Ach, hör auf damit, Mina! Manchmal denke ich einfach zu viel nach, grübele zu viel und … Hör auf, sage ich!
    Und dann bleibt mir keine Zeit mehr zu piepsen oder zu zwitschern, zu wünschen oder mich zu wundern, denn ein großer weißer Lieferwagen biegt in die Straße ein und bleibt vor Mr Myers’ Haus stehen. Dahinter kommt der blaue Wagen, und die Familie steigt aus. Die Mutter trägt das in weiße Tücher gewickelte Baby im Arm.
    „Schon?“, flüstere ich.
    Sie schaut die Straße entlang. Sie hält das Baby eng an sich gedrückt, als ob sie es vor der Welt beschützen wollte. Der Vater kommt zu ihr und umarmt sie beide. Ich höre das Baby weinen. Sie trägt es ins Haus. Ich stelle sie mir dort vor, in dem immer noch halb verfallenen Haus – das funkelnagelneue Baby an diesem alten, schmutzigen Ort.
    Dann öffnen sich die Türen des Lieferwagens, und der Vater trägt gemeinsam mit zwei stämmigen Männern die Möbel ins Haus.
    Der Junge bleibt allein. Er schaut böse zu Boden, schaut böse in den Himmel. Er hat einen Fußball unter dem Arm.
    „Was wünschst du dir?“, flüstere ich ihm zu, aber natürlich kann er mich nicht hören.
    Der neue Junge sieht nett aus, finde ich. Bin ich mutig genug, um ihm das zu sagen? Geht er zur Schule? Natürlich geht er zur Schule.
    Er lässt den Ball aufprallen. Einmal, zweimal. Er tritt ihn gegen die Gartenmauer. Einmal, zweimal. Dann schaut er sich böse in der Straße um, als ob er sie hassen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher