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Milner Donna

Milner Donna

Titel: Milner Donna
Autoren: River
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Gebets. Aber den habe ich vor langer Zeit verloren.
    Ich lausche Verns regelmäßigem Atem, während ich mit den Bildern meiner mir entfremdeten Familie kämpfe.
    Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit, da konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine Familie nicht immer zusammenbleiben würde. Es gab eine Zeit, da ich nichts anderes wollte, als mit meinem Bruder Boyer zusammen zu sein, den ich in meiner Kindheit vergötterte. Damals war mir der liebste Teil des Tages, wenn ich in seinem Zimmer saß und »Pennywörter« spielte – ein Buchstabenspiel, das Boyer mit mir spielte, seit ich sprechen konnte. Und am Abend im Bett zu liegen und meiner Mutter zuzuhören, wenn sie auf dem Klavier im Salon mein Lieblingslied spielte.
    Als ich klein war, dachte ich, sie hätte sich diese Melodie eigens für mich ausgedacht. Und immer wenn ich meine Mutter darum bat, egal, was sie gerade tat, setzte sie sich ans Klavier und spielte Love Me Tender .
    Ich kann es jetzt fast hören, während der Nordwind durch die Zweige der Tannen draußen vor unserem Schlafzimmerfenster rauscht.
    Der Wecker läutet. Als hätte er schon darauf gewartet, richtet Vern sich auf. Er schlägt die Decken zurück und schwingt die Beine über die Bettkante. Er denkt, ich würde noch schlafen. Das hat sich zu unserem Morgenritual entwickelt. Vern, der als Erster aufsteht und mich weiterschlafen lässt, bis er geduscht und Kaffee gemacht hat.
    »Es gibt einen Bus um sechs«, sage ich und erkläre den Fahrplan, während ich ihm ins Badezimmer folge. Er bietet noch einmal an, mich zu fahren.
    »Wenigstens bis zur Kreuzung in Cache Creek«, sagt er und blickt vom Waschbecken auf. »Das erspart dir die Warterei dort, und du kannst noch ein paar Stunden schlafen, bevor du abfährst.«
    Ich ziehe mein Kosmetikköfferchen hervor und werfe Toilettenartikel hinein. »Ich kann im Bus schlafen«, antworte ich, doch ich weiß genau, dass das nicht wahr ist.
    Vern drückt zu fest auf die Tube, und weiße Zahnpasta spritzt ins Becken. »Ich möchte für dich da sein, Natalie«, sagt er. »Ich möchte deine Mutter kennenlernen, bevor sie …« Er schneidet sich selbst das Wort ab, bevor es aus ihm herausbricht. »Solange ich noch die Möglichkeit habe.«
    Ich erstarre. »Es bleibt noch eine Menge Zeit, ganz sicher. Ich ruf dich an, sobald ich dort bin. Wenn ich mehr weiß.«
    Vern zieht die Augenbrauen hoch. »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    »Dickkopf«, murmelt er, aber seine Augen lächeln.
    Ich stehe an meinem Waschbecken und betrachte ihn im Spiegel.
    Wir sind jetzt seit fast zehn Jahren zusammen, sieben davon verheiratet. Er war es, der heiraten wollte. Ich habe mich dagegen gewehrt. In Anbetracht meiner Vergangenheit, hatte ich ihn gewarnt, sei ich keine besonders gute Partie: »Wenn du nicht heiratest, brauchst du dich auch nicht scheiden zu lassen.«
    Nach zwei gescheiterten Ehen war ich nicht versessen darauf, es ein drittes Mal zu versuchen.
    »Du bist bisher eben nicht dem Richtigen begegnet«, insistierte Vern. Schließlich hatte er mich umgestimmt.
    Wir lernten uns kennen, als ich in Vancouver wohnte. Früh an einem regnerischen Morgen liefen wir uns auf der Seawall-Promenade im Stanley Park über den Weg. Wortwörtlich. Aus entgegengesetzten Richtungen kommend, waren wir beide im Begriff, langsamere Jogger zu überholen, als Verns Ellbogen gegen meinen rempelte und ich auf den nassen Asphalt fiel. Danach grüßten wir uns auf unseren morgendlichen Runden. Bald wurde es uns zur Gewohnheit, miteinander zu joggen. Das führte dazu, dass wir uns nach dem Laufen auf einen Kaffee bei Starbuck’s auf der Denman Street zusammensetzten, was wiederum in eine feste Beziehung mündete.
    Wir fanden heraus, dass uns auch eine Leidenschaft für Bücher, Sushi und Oldies verband. Bald steckte er mich auch mit seiner Passion fürs Fliegenfischen an.
    Vern war Witwer. Er hatte seine Bauholzfirma auf Vancouver Island verkauft und war in die Nähe der Klinik gezogen, in der seine Frau ihren Kampf gegen den Brustkrebs schließlich verlor. Danach blieb er in Vancouver und ordnete sein Leben neu.
    Als er mich kennenlernte, war er dabei, seine Baumschule zu gründen. »Wenn das nicht Karma ist«, scherzte er, »vom Waldzerstörer zum Waldaufforster!«
    Wenn ich ihm so zusehe, wie er sich die Zähne bürstet, bin ich immer noch hingerissen von seinem guten Aussehen. Vern ist einen Meter achtundsiebzig groß, nicht viel größer als ich. Mit fünfundfünfzig trägt er immer
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