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Miles Flint 01 - Die Verschollenen

Miles Flint 01 - Die Verschollenen

Titel: Miles Flint 01 - Die Verschollenen
Autoren: Kristine Kathryn Rusch
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Regierung. Kein offenes Fenster, keine kühlere Temperatur.
    Und kein Licht.
    Jamal glitt in Ennis Zimmer, und das Trampeln seiner Füße war laut genug, das Baby zu wecken. Dylani rannte hinter ihm her.
    »Jamal!«
    Der Raum sah ganz normal aus, gebadet in das gleichmäßige Licht der Lampe, die Jamal über dem Wickeltisch angebracht hatte. Das Kinderbett kauerte in der einen Ecke, das Laufställchen in der anderen. Der Wickeltisch stand unter dem stets geschlossenen Fenster, das auch jetzt geschlossen war.
    Aber die Luft war kühler, so wie die Luft außerhalb des Hauses kühler war. Seit Ennis Geburt gaben sie mehr Geld fürs Heizen aus, um sicherzustellen, dass das Baby sich wohl fühlte. Beschützt. Sicher.
    Jamal blieb vor dem Bettchen stehen. Er musste nicht hinsehen. Er konnte den Unterschied im ganzen Raum fühlen. Jemand anderes war hier gewesen, vor nicht langer Zeit. Jemand war hier gewesen, und Ennis war nicht hier, nicht mehr.
    Dennoch starrte er auf die Matratze hinab, auf der er seinen Sohn vor noch nicht einmal einer Stunde zur Ruhe gebettet hatte. Ennis Lieblingsdecke war zurückgezogen worden und offenbarte den Abdruck seines kleinen Körpers. Der Geruch von Babypuder und Babyschweiß vermischte sich mit etwas Vertrautem, etwas Verlorenem.
    Mr. Biscuit thronte in der Ecke des Bettchens, und die aufgestickten Augen blickten ins Leere. Das Fell auf seiner Pfote war plattgedrückt und feucht, wo Ennis daran genuckelt hatte, vermutlich, als er eingeschlafen war. Der Schnuller, dem er noch nicht entwachsen war, lag schmutzverkrustet auf dem Boden.
    »Jamal?« Dylanis Stimme klang weich.
    Jamal konnte sich nicht zu ihr umdrehen. Er konnte ihr nicht ins Gesicht blicken. Alles, was er sehen konnte, war das goldene Armband, das auf Ennis Decke lag. Das Armband, das Jamal seit einer Dekade nicht mehr gesehen hatte. Das Symbol seiner angeblichen Großartigkeit, eine Belohnung, für einen Job, den er gut gemacht hatte. Er war so stolz darauf gewesen, als er es damals, in dieser ersten Nacht auf Korsve, erhalten hatte. Und so glücklich, es zwei Jahre später hinter sich zu lassen.
    »Oh, mein Gott«, sagte Dylani an der Tür. »Wo ist er?«
    »Ich weiß es nicht.« Jamals Stimme zitterte. Er log. Er versuchte, Dylani nicht zu belügen. Wusste sie, dass seine Stimme immer zitterte, wenn er log?
    Als sie ins Zimmer kam, schnappte Jamal sich das Armband und verbarg es in seiner Faust.
    »Wer würde so etwas tun?«, fragte sie. Sie war erstaunlich ruhig angesichts dessen, was passiert war. Aber Dylani geriet nie in Panik. Panik war Jamals Metier. »Wer würde unser Baby stehlen?«
    Jamal ließ das Armband in die Tasche gleiten, ehe er die Arme um seine Frau legte.
    »Wir brauchen Hilfe«, sagte sie.
    »Ich weiß.« Aber er wusste auch jetzt schon, dass es hoffnungslos war. Es gab nichts, was irgendjemand hätte tun können.
     
    Das Holovideo entfaltete sich mit einem Zehntel der Normalgröße in einer Ecke der Raumjacht. Die Schauspieler gingen auf und ab, und ihre Umgebung, ein Schloss aus dem sechzehnten Jahrhundert, wirkte neben dem grün-blauen Plüschsessel völlig fehl am Platz. So sehr Sara die Szene liebte – Hamlets Ansprache an die Schauspieler – konnte sie sich doch nicht darauf konzentrieren. Sie bedauerte, Shakespeare bestellt zu haben. Es fühlte sich an wie ein Teil ihres Lebens, den sie zurücklassen musste.
    Sara fragte sich, ob die beiden anderen sich ebenso verunsichert fühlten wie sie. Aber sie fragte nicht. Sie wollte die Antworten im Grunde gar nicht hören. Die anderen waren ihretwegen hier, und sie beklagten sich eigentlich kaum. Natürlich hatten sie auch keine andere Wahl.
    Sie sah zu ihnen hinüber. Ruth hatte ihre Lehne heruntergeklappt und ihren Sitz in eine Liege umfunktioniert. Sie schlief auf dem Rücken, die Hände auf dem Bauch gefaltet wie eine Tote, und ihr lockiges schwarzes Haar bedeckte das Kissen wie ein Leichentuch.
    Isaac starrte auf das Holovideo, aber Sara konnte erkennen, dass er nicht wirklich hinsah. Er war vornüber gebeugt; die Ellbogen ruhten auf den Hüften, und seine von Sorgenfalten geprägten Züge waren teilnahmslos. So war er schon, seit sie New Orleans verlassen hatten, fixiert, konzentriert, erstarrt.
    Die Jacht, ruckelte.
    Sara hielt das Holovid an. Raumjachten ruckelten nicht. Es gab nichts, worüber sie hätten ruckeln können.
    »Was zum Teufel war das?«, fragte sie.
    Weder Ruth noch Isaac antworteten ihr darauf. Ruth schlief noch immer, und auch
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