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Microsklaven

Microsklaven

Titel: Microsklaven
Autoren: Douglas Coupland
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eine Formel für den Weltfrieden hätten benutzt werden können. Sind das Computer- und das menschliche Gedächtnis analog? Michael wüßte das bestimmt.
    A m Vormittag bin ich auf dem Mountainbike rüber zum Nintendo-Hauptquartier gefahren, von Microsoft aus gesehen auf der anderen Seite der Interstate 405 gelegen. Also, ich bin nie im südafrikanischen Werk beispielsweise des Pharma-Unternehmens Sandoz gewesen, aber ich wette, das sieht so aus wie das Nintendo-Hauptquartier - ein zweigeschossiger Industriekomplex, verkleidet mit todessternmäßig schwarzen Fenstern. Der Parkplatz ist von Landschaftsarchitektur-Bäumen umgeben, die anscheinend per Maus an Ort und Stelle geklickt worden sind. Fast genauso wie bei Microsoft, nur daß Microsoft gischtgrünes Glas für seine Fenster verwendet und große Fußballplätze besitzt, falls das Unternehmen wirklich einmal expandieren sollte. Ich spielte eine Weile Hacky-Sack mit meinem Freund Marty und einigen seiner Tester-Freunde, die gerade Pause machten. Sonntag ist der Tag der Kids. Das gesamte junge Amerika hat schulfrei, beschäftigt sich mit seinen Nintendo-Produkten und besetzt die Produktservice-Telefonleitungen. Bei Nintendo sind wirklich alle sehr jung. Als befände man sich im Jahre 1311, wo jeder über 35 entweder tot ist oder verkrüppelt und vergessen.
    Wir begannen eine Diskussion darüber, was für eine Software Hunde designen würden, wenn sie könnten. Marty tippte auf Programme zur Markierung des Territoriums, mit Piß-Simulatoren und Leck-Interfaces, Antonella auf BoneFinder und Harold auf ein CAD-System zur Umgestaltung von Hundehütten. Alles sehrkartographisch/hochsensorisch. Jede Menge Visuals.
    Dann kamen wir natürlich auf Katzen-Software. Antonella schlug ein Privatsekretär-Programm vor, das allen Leuten mitteilt: »Nein, ich möchte nicht gestreichelt werden. Und bitte keine Anrufe durchstellen.« Meine Idee war ein Programm, das die ganze Zeit schläft.
    Wie auch immer: Daß wir Menschen sind, ist eine gute Sache. Wir entwerfen Tabellenkalkulationsprogramme, Zeichenprogramme und Textverarbeitungsprogramme. Das besagt etwas darüber, wo wir als Gattung stehen. Was ist die Suche nach der nächsten großen, faszinierenden Anwendung anderes als die Suche nach der menschlichen Identität?
    E s war nett, bei Nintendo zu sein, wo jeder ein kleines bißchen jünger und hipper ist als bei Microsoft und tatsächlich zur Seattle-Szene gehört. Bei Microsoft ist offenbar jeder, na ja, buchstäblich 31,2 Jahre alt, das macht sich schon irgendwie bemerkbar.
    Es ist gruselig, wie in einem Science-Fiction-Film, aber es gibt auf dem Campus niemanden, der nicht so aussieht, als wäre er exakt 31,2 Jahre alt. Das ist beklemmend. Es scheint, als hätten alle auf dem Campus erst letzte Woche die Gap-Rippen-T-Shirt-Manie gemeinsam durchgemacht - und jetzt kaufen sie alle für das gleiche taubengraue 4-Zimmer-2-Bäder-Apartment in Kirkland ein. Microsklaven sind von Natur aus dazu verdammt, Dinge zu tun, die typisch für 31,2jährige sind: das erste Haus, die erste Ehe, die »Wie geht es weiter?«-Krise, das Weg-mit-dem-Miata/Her-mit-dem-Minivan-Phänomen und natürlich Todesverdrängung im großen Stil. Vor ein paar Monaten ist ein Vizepräsident von Microsoft an Krebs gestorben, und darüber durfte praktisch kein Wort verloren werden. Punkt, aus. Es gibt drei Dinge, über die man bei der Arbeit nicht reden darf: Tod, Gehalt und Aktien. Ich bin 26, und ich bin einfach noch nicht bereit, 31,2 zu werden.
    Über die Sache mit der Todesverdrängung habe ich in letzter Zeit ziemlich viel nachgedacht. Im September muß ich immer an Jed denken. Es ist so. als gäbe es einen virtuellen Jed. den Jed, der er vielleicht geworden wäre. Manchmal sehe ich ihn, wenn ich am Wasser entlangfahre: Ich sehe ihn lächelnd und winkend auf einem Poller stehen, ich sehe ihn im Hafen auf einem Killerwal reiten, während ich auf dem Alaskan-Way-Viadukt im Verkehr stecke. Oder ich sehe ihn direkt vor mir ums Space-Needle-Restaurant herumgehen, immer knapp hinter der Biegung.
    Ich würde gern hoffen, daß Jed im Jenseits glücklich ist, aber da ich ohne jeden Glauben erzogen wurde, habe ich nicht mal für mich selbst eine Vorstellung vom Jenseits. Früher habe ich versucht, mir einzureden, es gäbe kein Leben nach dem Tod, doch es ist mir nicht gelungen. Wahrscheinlich spüre ich intuitiv, daß da noch etwas ist. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich es mir vorstellen soll.
    In den letzten
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