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Microsklaven

Microsklaven

Titel: Microsklaven
Autoren: Douglas Coupland
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gibt, daß du du bist. Wenn du am Leben und gesund bist, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, aber wenn du krank bist oder alt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß du du selbst bist. Die Chance, daß du ›ganz da bist‹, schwindet immer mehr. Wenn du stirbst, fällt die Wahrscheinlichkeit, daß du ›du‹ bist, auf Null.«
    Amy sah mich an und sagte: »Mach mal die Augen zu, jetzt sofort. Versuch dich zu erinnern, was für ein Hemd du anhast.«
    Ich versuchte es, und es gelang mir nicht. Sie sagte, ich würde wahrscheinlich viel länger dafür brauchen, als ich dächte. »Es ist ein grausamer Scherz der Natur, daß die persönlichen Erinnerungen offenbar die ersten sind, die verschwinden. Man erinnert sich noch an Alka-Seltzer, wenn man seine Kinder schon längst vergessen hat.« Dann sagte sie zu mir: »Versuch, nicht daran zu denken, wie du eine Orange schälst. Versuch, dir nicht vorzustellen, wie dir der Saft die Finger hinunterläuft. Das weiche Innere der Schale. Den Geruch. Versuch es, und es wird dir nicht gelingen. Das Gehirn verarbeitet keine Negative.«
    Ich ging hinaus auf die Terrasse hinter dem Haus und schaute auf das Silicon Valley, das klar zu sehen war, aber in einem Spätnachmittagsnebel verschwand, der unerwartet von Westen aus hereinwehte. Karla hatte einen Pullover an, und ihr Atem war dort in der Kühle wie die Hitze, die über dem Swimmingpool lag. Ich erzählte ihr, daß Kriege immer im Herbst erklärt wurden, wenn die Ernte eingeholt war. Sie sagte zu mir: »Wir alle fallen eines Tages hin. Wir alle. Du bist gefallen, und wir alle helfen einander auf.« In der Ferne sah ich die Contra Costa Mountains. Ihre Umrisse verschwammen, und ich hielt die Berge für Wolken. Karla trocknete mir mit gefallenen Blättern und dem Saum ihres Pullovers die Augen. Ich erzählte Karla von einem Lego-Werbespot, den ich vor zwanzig Jahren im Fernsehen gesehen habe... eine gelbe Burg, und die Kamera fuhr höher und höher und höher, und die Burg nahm kein Ende. Sie sagte, den hätte sie auch gesehen.
    Dad kam mit Misty vorbei, und wir gingen alle spazieren. Wir gingen den La Cresta runter, und Dad hatte den elektrischen Garagentüröffner mitgenommen, und wir drückten den geriffelten roten Knopf und versuchten ohne Sinn und Verstand, die Tore von fremden Leuten zu öffnen.
    A ls wir wieder nach Hause kamen, waren meine Freunde um Mom versammelt, vor einem Monitor, ihre Gesichter himmelblau erleuchtet; sie hatten vergessen, in der Küche das Licht einzuschalten. Moms Körper wurde von Bug und Abe in einem Küchenstuhl aufrecht gehalten, Michael umklammerte ihre Arme. Auf dem Monitor, dem Bildschirm eines Mac Classic, standen in 36 Punkt Helvetica die Worte:
     
    ich bin hier
     
    Dad streichelte Mom die Stirn und sagte: »Wir sind auch hier,
    Schatz.« Er sagte: »Michael, kann sie sprechen ...?« Michael legte seine Arme über Moms Arme, seine Finger über ihre Finger und führte ihre Hände über die Tastatur. Dad sagte: »Liebes, kannst du uns hören?«
     
    ja
     
    Er sagte zu ihr: »Liebes, wie geht es dir? Wie fühlst du dich?«
     
    ;=)
     
    Da mischte sich Michael ein. Er sagte: »Mr. Underwood, stellen Sie Ihrer Frau eine Frage, auf die nur Sie beide die Antwort wissen. Um sicherzugehen, daß nicht ich es bin, der hier spricht.«
    Dad fragte: »Schatz, wie hast du mich genannt, als wir zum Mt. Hood in die Flitterwochen gefahren sind? Weißt du das noch?«
    Nach einer Pause erschien ein Wort:
     
    rentier
     
    Dad brach weinend zusammen, und Mom fiel auf die Knie, und Michael sagte: »Wir drücken mal die Hochstelltaste. Wörter in Großbuchstaben sind leichter - denkt bloß mal an Nummernschilder. Sie sind jetzt ein Nummernschild des Staates Kalifornien, Mrs. U.«
    Die Hochstelltaste wurde gedrückt und die Punktgröße verringert.
    Die Finger tippten:
     
    BEEP BEEP
     
    Dad sagte: »Sag uns, wie du dich fühlst... Sag uns, was wir tun können...«
    Die Finger tippten:
     
    ICH FÜHLE EUCH
     
    Ich drängelte mich nach vorn. Ich sagte: »Mom, Mom ... Sag mir, daß du das bist. Sag mir, was ich in der Schule nie auf meinem Pausenbrot haben wollte ...«
    Die Finger tippten.
     
    RDNUSSBUTR
     
    Ach, mit den Verlorenen zu sprechen! Karla meldete sich zu Wort und sagte: »Mrs. U., unsere Massage ... Ist die okay? Hilft sie Ihnen?« Die Finger tippten:
     
    TOLL
    CH MG M1NEN KRPR
     
    Karla blickte auf die Worte und erklärte nach kurzem Zögern: »Ich mag meinen Körper jetzt auch, Mrs. U.« Moms
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