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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Autoren: Ayse
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Ehe besteht nur noch auf dem Papier. Ich weiß inzwischen, dass diese Heirat ein großer Fehler war.
    Vor ein paar Monaten sind Birgül und ich nach Hause in die Türkei gefahren. Ich wollte nach all den Jahren meine Eltern endlich mal wieder besuchen. Und Birgül hat mich begleitet, um in der Türkei die Scheidung einzureichen. Da die Ehe hier in Deutschland nie amtlich registriert wurde, war es einfacher, sie dort zu lösen. Inzwischen lassen sich auch die Frauen in der Türkei scheiden, aber alltäglich ist es nicht. So war es zunächst schwierig, weil der Avucat , der Anwalt, sie erst nicht ernst nahm und uns wieder wegschicken wollte. Sie solle es sich doch noch einmal überlegen, eine Ehe bestehe nicht nur aus guten, sondern eben auch aus schlechten Zeiten. Aber Birgül war sich ihrer Sache sicher. Sie hatte seit Monaten keinen Kontakt mehr zu ihrem Mann, wusste nicht einmal genau, wo er stationiert war. Und jetzt sei es eben genug. Sie wolle auch nicht als Brücke nachDeutschland benutzt werden, denn das müsse der Grund gewesen sein, warum er sie damals überhaupt geheiratet habe. Mit Liebe habe ihre Ehe nie etwas zu tun gehabt. All dies sagte sie mit großer Bestimmtheit und beeindruckte den Anwalt sehr. So willigte er schließlich doch ein, die Angelegenheit zu übernehmen. Um die ganze Sache amtlich zu machen, müsse Birgül aber noch die Familie ihres Mannes informieren. Er trug ihr deshalb auf, mit U˘gur Onkel zu telefonieren. Wenn sie das erledigt habe, solle sie wiederkommen.
    Diesen Anruf schob Birgül ein paar Stunden vor sich her, dann rang sie sich aber doch durch und wählte die Nummer. Als am anderen Ende abgenommen wurde, meldete sie sich und sagte mit flattriger Stimme, was sie zu sagen hatte. Die Reaktion kam postwendend: Der Onkel brüllte durchs Telefon, so dass ich und anne, die daneben saß, jedes Wort verstanden. Aufgebracht schrie er, was ihr einfiele und dass das nicht ginge. U˘gur sei doch bald mit seinem Armeedienst fertig und würde dann nach Deutschland kommen. Birgül zitterte am ganzen Körper und fing an zu weinen, aber dann gab sie sich innerlich einen Ruck und sagte mit fester Stimme: »Nein, es hat keinen Sinn mehr. Ich will nicht mehr U˘gur Frau sein. Ich will die Scheidung.« Dann legte sie auf.
    Anne nickte zustimmend mit dem Kopf und sagte: »Ja, wenn es der falsche Mann ist, muss man rechtzeitig Schluss machen. Ihr habt noch keine Kinder, jetzt ist noch Zeit.« Vielleicht ist ihr in diesem Moment, so wie mir, ihr eigenes Schicksal durch den Kopf gegangen. Aber meine anne war nicht unglücklich. Sie hatte sich mit ihrem Leben abgefunden und Frieden gemacht. Ihren Mann nach all den Jahren zu verlassen hätte für sie keinen Sinn mehr gehabt. »Wo soll ich denn hin?«, sagte sie mir, als ich sie einmal danach fragte. Und Vater? Er hatte erst nichts von den Scheidungsabsichten seiner Enkelin gewusst, aber irgendwie hat er es dann doch erfahren. Seine Reaktion hat mich verwundert, denn er sagte verschmitzt: »Mach dir keine Sorgen, Birgül, wir finden schon wieder einen Mann für dich!«, und dann lachteer. Ich war stolz auf Birgül und erleichtert, dass meine Eltern zu der mutigen Entscheidung meiner Tochter standen.
    Am nächsten Tag waren wir wieder beim Anwalt. Birgül berichtete von dem unerfreulichen Telefonat, aber der Avukat war zufrieden. Sie erteilte ihm offiziell den Auftrag, die Scheidung einzureichen, und unterschrieb eine Vollmacht. Nachdem sie noch einige weitere Papiere unterschrieben hatte, berichtete der Avucat , dass sie, im Fall des Einverständnisses ihres Mannes, in spätestens einem Jahr geschieden sei. Wenn er nicht einwilligte, würde das Ganze drei Jahre dauern. Aber das war nicht anzunehmen. Denn vermutlich suchte seine Mutter schon eine neue Deutschtürkin für ihn, damit auch er endlich ins »gelobte Land« einreisen konnte.
    Die Woche bei meinen Eltern war sehr schön. Anne und ich haben viel Zeit miteinander verbracht und stundenlang geredet. Ich habe Dinge erfahren, die sie mir noch nie erzählt hat – traurige und lustige. Und so haben wir abwechselnd geweint und gelacht. Mit meinem Vater war es schwieriger. Ich hatte nie ein besonders gutes Verhältnis zu ihm. Ich nahm ihm übel, wie schlecht er anne behandelt hat. Dass er ihr zum Beispiel verbot, ihre Kinder in Deutschland zu besuchen. Dabei hätte er lediglich in der Bezirkshauptstadt einen Reisepass für sie beantragen und sein Einverständnis dazu geben müssen, dass sie reisen darf.
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