Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer
Autoren: Seidel Jana
Vom Netzwerk:
gerechnet. Ihn außer Gefecht zu setzen, kann auch wirklich nur einer Lilly gelingen. Zumindest vorübergehend. Mit leichter Verspätung versteht er leider doch, was ihm gerade widerfahren ist. In der Sekunde davor lag es wohl nur so weit jenseits seiner Vorstellungskraft, dass er es nicht glauben konnte. Er springt unvermittelt auf, als sei er nicht etwa von Lilly geküsst, sondern von einem wilden Löwen gebissen worden. Bei der abrupten Bewegung kippt sein Stuhl polternd um. Kräftig fährt er sich mit dem Handrücken über die Lippen und schnappt nach Luft. Sehr theatralisch! Ich muss grinsen. Eigentlich wären sie ein ideales Paar. Mir fallen sonst keine zwei Menschen ein, die andere so gut aus der Fassung bringen können. Wenngleich ihre Methoden sich doch sehr unterscheiden. Wird der eine von Dauerzorn angetrieben, kommt die andere nicht gegen ihren kindlichen Übermut an.
    Â»Ach, hab dich nicht so, Lothar«, sagt sie mit einer erhabenden, abwinkenden Geste. »So oft wird dir das nicht mehr passieren.«
    Sie kommt wieder an den Tresen, während Lothar immer noch dasteht und ihr stumm nachsieht.
    Sie streckt mir triumphierend den erhobenen Daumen entgegen.
    Â»Was war das?«, frage ich vorsichtig.
    Â»Och, ich habe mir gestern eine Liste gemacht mit hundert Dingen, die ich noch erledigen möchte, bevor ich sterbe. Einen fremden Mann zu küssen, stand ganz oben. Er war nicht gerade begeistert, oder? Früher waren die Männer dankbar für meine Küsse.« Sie seufzt schwer.
    Â»Und was steht sonst noch auf dieser Liste?«, frage ich amüsiert und besorgt zugleich.
    Â»Das wirst du schon sehen«, entgegnet sie mit geheimniskrämerischer Miene, die fürchterliche Missetaten andeutet. Auweia. Gut, dass ich hier nicht Vollzeit arbeite.
    Â»Gleich kommen Johann und Oscar. Sehe ich gut aus?«, fragt Lilly. Die strahlende Diva wirkt plötzlich unsicher. Sie hängt an ihren Kindern und Enkeln. Erwidert wird ihre Zuneigung aber eher nicht. Wer sich hier umsieht, könnte befriedigt glauben, das Klischee »reich, aber einsam« träfe voll zu. Ich vermute eher, die anderen können sich nur einfach eine solche Einrichtung nicht leisten, in die man seine Eltern halbwegs guten Gewissens abschieben kann. Die Kinder von Lilly – sie hat einen Sohn und eine Tochter – tauchen selten auf. Wenn, dann lamentieren sie immer über die Verschrobenheiten ihrer Mutter und sehen zu, dass sie schleunigst wieder wegkommen. Johann, ihr Sohn, und Josie, ihre Tochter, teilen sich Lillys Haus seit deren Auszug und bewohnen es gemeinsam mit ihren Familien. Ich denke, sie haben einander verdient. Eigentlich sind sie harmlose, verkrampfte Spießer, soweit ich das bei ihren kurzen Cafeteria-Aufenthalten feststellen konnte. Nur gegen Johanns kleinen Sohn Oscar habe ich eine echte Abneigung. Ein feister Gierschlund mit bösen Zügen. Ich bin mir nahezu sicher, dass er Frösche seziert, ins Bett nässt und als berühmter Prostituiertenmörder in die Geschichte eingehen wird. Ich weiß, so etwas Grausames darf man über einen Achtjährigen eigentlich nicht sagen. Aber wer ist denn noch nie einem Kind begegnet, bei dessen Anblick er an der angeborenen Unschuld des Kleinen gezweifelt hätte? In Wahrheit haben doch sicher die meisten schon mal ein Gör getroffen, das man allzu gerne stellvertretend für die Eltern übers Knie gelegt hätte. Hinterher schämt man sich natürlich ganz furchtbar für diesen Gedanken. Und natürlich würde ich nie ein Kind schlagen. Und meist haben solche Kinder ja auch noch furchtbar selbstgerechte Eltern – vielleicht können die Kleinen ja doch nichts dafür, dass sie so sind. Die stolzen Erzeuger schauen einen sofort vernichtend an, wenn man nicht vor Glückseligkeit juchzt, nur weil der Sohnemann einem gerade herzhaft gegen das Schienbein getreten hat. Ganz ähnlich wie selbstgerechte Kampfhundbesitzer, die auch nie verstehen, dass man den Sabber ihres reizenden »Der tut keinem was«-Familienmitglieds mit einem angewiderten Gesichtsausdruck von seiner Wade wischt.
    Oscar hat mir mal ein Bein gestellt, als ich gerade ein Tablett voller Kaffee getragen habe. Als ich gestolpert bin und den ganzen Kaffee verschüttet habe, hat ihm wohl gedämmert, dass er die Art von Mist gebaut hat, für die es Ärger geben könnte. Blitzschnell ist der raffinierte Rotzlöffel zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher