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Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Mich gibt s ubrigens auch fur immer

Titel: Mich gibt s ubrigens auch fur immer
Autoren: Seidel Jana
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buhlen. In der ersten Zeit hat er uns, dem Personal, immer die Tabletts mit Essen an den Kopf geworfen, die wir ihm gebracht haben. Einer der Vorzüge eines Nobel-Altersheims ist es nämlich, dass man nicht mit allen anderen im Saal speisen muss. Wer mag, kann sich das Essen aufs Zimmer bringen lassen. Die wenigsten nutzen das. Erstens, weil man sich den Speisesaal eher wie ein schickes Restaurant als wie eine Kantine mit fahler Beleuchtung vorstellen muss. Zweitens fühlen sich die meisten ohnehin einen Großteil des Tages einsam und freuen sich über Gesellschaft. Wir bieten immer zwei vollständige Menüs an, um es den Bewohnern leichter zu machen. Aber sie können auch einen Tag vorher jeden x-beliebigen Essenswunsch äußern, den wir dann erfüllen. Dankenswerterweise sind die meisten bequem und fechten keinen Wettstreit um kulinarische Kreativität aus. Sie kreuzen einfach eines der beiden Menüs an. Nicht so Lothar Turban. Weder möchte er mit den anderen speisen, noch wollte er anfangs ein Menü wählen. Deswegen mussten wir auf blauen Dunst testen, was ihm schmecken könnte – und die Folgen waren oft schmerzhaft. Wer hat schon gern heiße Erbsensuppe in den Haaren. Zum Glück habe ich dann herausgefunden, dass er Rouladen einfach nicht widerstehen kann. Die habe ich ihm vorgesetzt und bin seither von tätlichen Angriffen verschont geblieben. Ja, ich bilde mir sogar ein, dass seither etwas Wohlwollendes in seinem Grollen steckt und er gar kein so übler Kerl ist. Deswegen tut es mir leid, dass er an Weihnachten ganz allein hier sitzt. Auch wenn sie mir nichts bedeuten, weiß ich doch, dass diese Tage für die meisten Menschen eine Zeit sind, in der man sich nach heimeliger Geborgenheit und seinen Lieben sehnt. Und mag die Familienharmonie noch so aufgesetzt sein, die meisten fühlen sich darin wohler als so ganz allein in einer dunklen Cafeteria. Lothar hat zwar einen Sohn, aber den habe ich hier noch nie gesehen. Keine Ahnung, ob ihm das wirklich etwas ausmacht. Er sieht aus wie sonst. Im Gegensatz zu anderen Bewohnern nutzt er das Alter nicht, um sich auch äußerlich gehen zu lassen. Ich verstehe diejenigen, die sich keine Mühe mehr mit ihrer Kleidung geben. Die Wahrscheinlichkeit ist einfach zu gering geworden, dass morgen der Traummann an die Tür klopft oder das ganz große Abenteuer beginnt. Die hat Turban vermutlich auch nicht, dennoch trägt er ein Halstuch mit Paisley-Muster in Grün- und Rottönen, ein hellblaues Hemd und darüber ein gut sitzendes waldgrünes Jackett. Was umso absurder ist, wo er doch der Einzige ist, der jeden zwischenmenschlichen Kontakt meidet. Für wen gibt er sich so viel Mühe?
    Der »Gentleman« unterbricht meine Gedanken rüde. »Ich dachte, die Cafeteria öffnet um 15 Uhr? Ich will einen Kaffee«, bellt er in meine Richtung, während ich den Tresen vorbereite, die von der Frühschicht vorbereiteten Kuchen und Kekse in der Vitrine drapiere und die Kasse einschalte. Gut, ich gebe zu, manchmal fällt es mir schwer, das Wohlwollende in seinem dreisten Gebaren zu sehen. Aber vielleicht will er mit der bissigen Art ja nur seine tief empfundene Einsamkeit überdecken oder so. Womöglich ist er nur so knurrig, damit die Leute denken, er sei allein, weil er es so will. Nicht etwa, weil sich niemand für ihn interessiert. Könnte doch eine Frage des Stolzes sein. Genau, er ist nämlich eigentlich ein ganz lieber Mensch. Ommm …
    Â»Nun, wir öffnen ja auch um 15 Uhr«, sage ich freundlich.
    Â»Es ist 15.01 Uhr. Wenn Sie da noch weiter rumhantieren, glaube ich nicht, dass Sie den ersten Kaffee vor 15.15 Uhr ausschenken. Sie haben ja noch nicht mal die Maschine eingeschaltet.«
    Seufzend schlurfe ich zu dem mörderschicken Kaffee-Vollautomaten und wiederhole innerlich mein »Jeder Mensch hat eine gute Seite«-Mantra. Den Vollautomaten bräuchten wir eigentlich gar nicht, aber er passt halt so gut zur schicken Einrichtung. Statt fieser Klappstühle gibt es in dieser Cafeteria dunkelbraune Ledersessel im Chippendale-Stil. Die Milchdüse der Maschine musste ich bislang kein einziges Mal reinigen, weil keiner hier den aufgeschäumten Quatsch will. Unsere Bewohner sind alle über siebzig und trinken stinknormalen Kaffee mit einem Spritzer Milch aus dem Kännchen und ein paar Zuckerwürfeln. Auch wenn sie alle Geld haben, ist die Starbuckskultur viel zu
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