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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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Gestalten um, die hinter ihm wartet. Helft mir!, sagen seine Augen. Was wollen sie von mir hören? Aber sie alle wenden die Blicke ab.
    Er dreht sich wieder zu dem Mikrofon um. »Ich gestehe! Bitte vergebt mir! Ich habe Gott gelästert. Jesus ist mein Herr! Er … starb … für … mich … Gott vergebe mir! Gott vergebe mir!«
    Der Prediger umarmt ihn. »Ruhig, Bruder Schmidt, ruhig! Jesus liebt dich. Er hat dich seit jeher geliebt …«
    Schmidt klammert sich an seinen Peiniger und schluchzt wie ein kleines Kind.

    »Ist schon gut, Ruth, ist schon gut …«

    Ein Soziologe namens Carp gesteht, dass er die Institution der Ehe in Frage gestellt hat, dass er Homosexuelle verteidigt und die satanische Doktrin des Kulturrelativismus gelehrt hat …
    Die Menge bricht in einen Sturm der Empörung aus.
    »Ich weiß, ich weiß«, schluchzt Carp. »Ich habe mich gegen den Gott meiner Vorväter versündigt. Ich habe mich gegen Jesus versündigt. Ich habe mich in gewisser Weise gegen Amerika versündigt, und ich habe den Herrn geleugnet. Aber ich bereue, Brüder und Schwestern. Betet für meine Seele. Helft mir dabei, den gerechten Zorn Gottes auf mich zu nehmen …«
    Es gibt Beifallsrufe. Das gefällt der Masse. Aber der Prediger runzelt die Stirn.
    »Es scheint mir, dass er seinen Taten allzu schnell abschwört, Brüder und Schwestern, allzu schnell. Dies ist falsche Reue, meine Freunde, die dieser Ungläubige, dieser Sünder vortäuscht, um uns zu beschwichtigen, während er im Herzen nach wie vor die Schlangen der Sünde und des Atheismus nährt!«
    Carp starrt ihn entsetzt an. »Nein, Sir, ich bereue wirklich … Ich meine …«
    Er wird abgeführt und dorthin gebracht, wo in schwarzen Tonnen der Teer blubbert und raucht.
    Und dann ist Ruth dran.
    Ein kalter Wind weht über den See.
    Arme Ruth. Arme kleine Ruth. Ganz allein dort oben, im Angesicht jenes dunklen Ozeans der Wut …

    Endlich war es ihr gelungen, einzuschlafen. Ich schlich auf Zehenspitzen in mein Zimmer, und Charlie brachte mir meine eigenen Schlaftabletten.
    Wie wahnsinnig aufgeregt Ruth und ich gewesen waren, als wir vor so vielen Jahren den funkelnagelneuen Charlie aus seiner mit Schaumstoff ausgekleideten Kiste ausgepackt hatten!
    Begeistert hatten wir festgestellt, dass wir sein gesamtes Repertoire hilfsbereiter Phrasen mit unseren eigenen Namen personalisieren konnten.
    »Gute Nacht«, sagte er mit seiner schnarrenden, elektronischen Stimme. »Gute Nacht, George.«

Kapitel 3
    A m nächsten Tag nahm ich einen anderen Heimweg von der Arbeit. Ich ging zu Fuß durchs Einkaufsviertel, anstatt wie sonst die U-Bahn bis zum Stadtteil Faraday zu nehmen, wo wir wohnten. Ich sagte mir, dass ich etwas Bewegung brauchen konnte.
    Entlang des ganzen Küstenstreifens tummelten sich die Massen und besuchten die Virtual-Reality-Spielhallen mit ihren grellen holografischen Werbetafeln. Unter den Augen der Polizeiroboter – zwei Meter groß und mit traurigen, silbernen und reglosen Gesichtern – wählten die Kinder Illyriens zwischen den zahllosen elektronischen Welten, die bereitstanden, um ihnen die Zeit mit gespielten Abenteuern, gespielter Gewalt und gespieltem Sex zu vertreiben …
    Unter mir leckte die laue Adriasee sanft an den Steinen. Ich ging weiter – gleichmäßig, zügig, sorgfältig darauf bedacht, nicht über mein Ziel nachzudenken.
    Vor mir ragte der Leuchtturm von Illyrien aus dem Meer empor, Illyriens Kathedrale der Wissenschaft, jener hohe Silberpfeiler, der wie eine gigantische Schachfigur schwerelos über dem Wasser zu schweben schien, obgleich es sich um das höchste Gebäude der Welt handelte. Menschen gingen über die schmale Stahlbrücke, die ihn mit dem Festland verband, und liefen den Freuden entgegen, die sie in seinem Innern erwarteten.
    Weit oben an der großen, kugelförmigen Spitze des Turms waren vier Riesenräder angebracht, eines für jede Himmelsrichtung. Sie waren sehr viel größer als die auf irgendwelchen Rummelplätzen, aber dort oben wirkten sie winzig. Eines hielt gerade an, um seine Fahrgäste zu entlassen, ein anderes nahm Geschwindigkeit auf.
    Ich mochte den Leuchtturm. Als mein Vater noch gelebt hatte, hatte er mich an dem einen Samstagnachmittag im Monat, den ich mit ihm verbringen durfte, manchmal dorthin mitgenommen. Das machte mich glücklich, und wenn ich nach Hause kam, konnte ich Ruth immer absolut wahrheitsgemäß berichten, dass ich Spaß gehabt hatte. Im Innern des Turms musste man durch ein
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