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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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hübsch und weich und anmutig.
    Man muss bitte bedenken, dass ich zu diesem Zeitpunkt noch nie von einem anderen menschlichen Wesen im Arm gehalten worden war. Als Kind war mein wichtigster Weggefährte unser X3 Charlie gewesen, mit seinen Gummireifen und seinem Wortschatz von fünfzig Sätzen. Damals hatte ich ihn immer neben meinem Bett »schlafen« lassen.

    Ich ließ die Sendung in normaler Geschwindigkeit weiterlaufen. Sie hieß JETZT! und lieferte jede Nacht eine Zusammenfassung aktueller Nachrichtenmeldungen auf Regierungslinie. Als die Sendung zu Ende war, schaltete Kanal 9 sich ab und zeigte wie immer das Bild von Präsident Ullman, dem Gründervater unseres Staats.
    Er war ein Riese von einem Mann, ein schroffer Mann, ein Mann aus Granit. Damals in Amerika, in den schrecklichen Anfangszeiten der Reaktion, waren er und seine Frau von Christenmobs öffentlich bewusstlos geprügelt worden, weil sie sich geweigert hatten, ihrer Arbeit zur In-vitro-Fertilisation abzuschwören. Mrs. Ullman war gestorben.
    Jetzt zeigte man ihn jeden Abend zum Programmende, wie er grimmig eine Figur aus Ton zerdrückte, die der menschlichen Form nachempfunden war. Seht her! Es gibt keine Seele, keinen Lebenshauch, keinen Geist in der Maschine.
    Natürlich hatte ich das Bild schon so oft gesehen, dass es längst keinen bewussten Eindruck mehr bei mir hinterließ. Doch in dieser speziellen Nacht wollte ich mir noch einen letzten Blick auf die hübsche Roboterfrau genehmigen, ehe ich zu Bett ging, und ohne besonderen Grund schaltete ich nicht einfach zur vorangegangenen Sendung zurück, sondern ließ das Programm rückwärts ablaufen.
    Ich sah, wie die Krümel von der Tischplatte aus in die Höhe schnellten und sich in Ullmans Hand auf wundersame Weise zum Abbild eines Menschen zusammensetzten.
    Und so verwandelte sich der gestrenge alte Rationalist in eine Art christlichen Gott.

Kapitel 2
    R uth war mal wieder im SenSpace eingeschlafen. Ihr Körper baumelte in den Drähten, und ihr behelmter Kopf war ihr auf die Brust gesackt. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie wunde Stellen kriegen.
    Ich rief nach ihr, ging dann zu ihr und schüttelte sie. Und zwar ziemlich grob. Es gefiel mir ganz und gar nicht, mich um sie kümmern zu müssen.
    »Ach, du bist das, George.« Sie hob den Kopf und blinzelte mich aus ihren Eulenaugen an. »Ich bin wohl eingeschlafen. Kannst du mich hier rausholen?«
    Seufzend öffnete ich den Reißverschluss und half ihr aus ihrem baumelnden Anzug. Ich verabscheute diese Aufgabe, weil sie immer nackt in den Anzug stieg, um möglichst viel Kontakt mit den Taxilen zu gewährleisten.
    Sie war klein und dünn, hatte keine Brüste und kaum Schamhaar. Als ich sie herunterließ, kam ich mir vor, als wäre ich der Erwachsene und sie das Kind. Aber wenn man ihren Bauch genau betrachtete, sah man noch die Spuren des Kaiserschnitts, durch den ich zur Welt gekommen war.
    Ich wandte den Blick von ihr ab und wickelte sie hastig in den Bademantel, den sie auf dem Boden liegen gelassen hatte.
    »Du solltest mehr essen und weniger Zeit da drin verbringen, Ruth. Wirklich, du tust dir damit ganz und gar keinen Gefallen.«
    »Ach George, ich bin so müde, kannst du mich noch kurz in mein Zimmer bringen?«
    »Ich soll dich tragen? Schon wieder?«
    »Bitte.«
    »Verdammt noch mal, Ruth, du musst was essen! Du machst dich ja total kaputt!«
    Doch ich trug sie trotzdem in ihr Zimmer. Ich steckte sie ins Bett, schickte Charlie mit ihren Schlaftabletten rein und stand anschließend da und beobachtete sie dabei, wie sie sich in Embryonalhaltung zusammenrollte und langsam wieder eindämmerte.
    »Bitte, bitte schlaf ein«, flüsterte ich.
    Ich war selbst müde und erschöpft und fühlte mich jämmerlich. Ich sehnte mich nach meinem eigenen Bett, meinem eigenen Vergessen …
    »Bitte schlaf einfach ein.«
    Und es sah tatsächlich danach aus, als würde sie ausnahmsweise genau das tun.
    Aber es sollte nicht sein. Mein ganzer Körper verkrampfte sich, als ich sah, wie ihre Schultern zu zittern begannen.
    »Schlaf einfach, verdammt noch mal, Ruth!«, wollte ich sie anschreien, aber ich biss mir auf die Zunge.
    Und als die ersten leisen, wimmernden Schluchzer erklangen, zwang ich mich, das Zimmer erneut zu durchqueren, mich auf ihr Bett zu setzen und ihre Hand zu nehmen.
    »Ist schon gut, ist schon gut«, wiederholte ich mechanisch, »ist schon gut, ist schon gut.«

    Ich weiß nicht viel über ihre Kindheit. Ihr muss wohl etwas Grauenhaftes
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