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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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zurückhalten. Kurz darauf war ich im Ausgehviertel, dann in dem roten Raum mit den Schlafwandlern und den verträumten, halbmenschlichen Stimmen, die gurrten Baby, Baby, Baby, liebe mich …
    Lucy trug ein kurzes, ärmelloses Jeanskleid und Ohrhänger. Die bloßen Beine angewinkelt, saß sie auf einem Sofa. Ich ging direkt auf sie zu. Sie lächelte mich an und regte sich, um aufzustehen. Ich fühlte mich wunderbar leer, als würde ich aus Luft bestehen …

    »Möchtest du gerne mit mir raufkommen?«
    Ich nickte. Ihr Lächeln wurde breiter, so als wäre sie höchst entzückt.
    »Ich fürchte, mein Zimmer ist ein ganz schöner Saustall«, sagte sie. Mir fiel auf, dass ihr Akzent britisch und ein bisschen nach einem Mädchen vom Lande klang.
    »Was hast du für einen Akzent?«, krächzte ich.
    »Der ist aus Wiltshire«, antwortete sie, »in Südengland. Mein Vater war dort Postbote.«
    Sie warf mir einen Blick und ein beinahe verschmitztes Lächeln zu, als ob ihr klar wäre, wie absurd diese Lebensgeschichte war, die man ihr zusammen mit ihrem im Reagenzglas gezüchteten Menschenfleisch gegeben hatte.
    Am anderen Ende des Treppenabsatzes öffnete sie eine Tür. Dahinter lag ein Studentinnenzimmer mit einem Einzelbett, einem Schreibtisch, einem Computer, einer Leselampe, ein paar Bechern, einer Dose Instantkaffee, einigen Wäschestücken hier und da über einer Stuhllehne, einer halbleeren Flasche Rotwein … Es gab sogar ein Regal mit CDs und Büchern, wobei man die Bücher anscheinend nach dem Zufallsprinzip im Antiquariat gekauft hatte, da sie keinen thematischen Zusammenhang aufwiesen: Geschichte des westlichen Denkens, Pygmalion, Pflanzliche Zellbiologie, Science-Fiction des 20. Jahrhunderts, Grundlagen der selbstentwickelnden Kybernetik, Das Lied des Wandernden Aengus, Byron auf dem Balkan …
    Lucy reichte mir eine Art Speisekarte von ihrem Nachttisch, wo sie neben einem Dickens-Buch gelegen hatte.
    »Möchtest du etwas Bestimmtes?«
    Ich schluckte. »Nein. Nur, dass du dich ausziehst und … mich küsst und …«
    Sie nickte lächelnd. Einen Moment lang ergriff sie meine linke Hand und strich mit ihrem Daumen über mein Kreditarmband. (In ihren Daumen war ein Strichcode-Lesegerät eingebaut, das für das bloße Auge unsichtbar war.) Dann schlang sie die Arme um meinen Nacken und küsste mich schnell und warm auf die Lippen, bevor sie zurücktrat und ihr Kleid abstreifte, so dass sie nichts außer den herabbaumelnden Ohrringen am Leib trug.
    Es war das erste Mal, dass jemand mich geküsst hatte.

Kapitel 10
    A ls ich nach Hause zurückkehrte, hatte Ruth gerade einen ihrer guten und fröhlichen Abende. Sie hatte sich mit Kochen und Haushaltspflichten beschäftigt und war nun zum Plaudern aufgelegt.
    »Ich hab dir ein Steak aufgehoben, George. Willst du es? Du wirst lachen. Wir haben eine neue Rezeptionistin im Labor. Sie ist ein Syntec. Der Professor dachte wohl, dass wir ein Vorführexemplar für unsere eigenen Produkte brauchen.« (Ruth arbeitete in einem Labor, in dem lebendiges menschliches Gewebe geklont wurde.) »Sie lässt sich wirklich nicht von einem echten Menschen unterscheiden. Tatsächlich hat unser Professor sogar ein kleines Experiment gemacht. Er hat sie uns vorgestellt, als sei sie ein echter Mensch, und wir sind alle drauf reingefallen. Es war erstaunlich! Ich frage mich, wie sie es hinkriegen, ihnen die ganze Mimik und Gestik und die Stimmlagen so genau einzuprogrammieren.«
    Ich goss mir etwas zu trinken in ein großes Glas. Ich wusste nicht, was ich empfand. Innerlich war ich aufgewühlt und ziemlich entsetzt über das, was ich mit Lucy erlebt hatte. Doch ich wusste, dass ich bald wieder hingehen würde.
    »Sie programmieren nicht alle Muskelbewegungen einzeln«, zitierte ich die Fernsehsendung, in der ich Lucy zum ersten Mal gesehen hatte. »Es ist eher, wie wenn man ein Video dreht. Sie holen sich Schauspieler, die ein Repertoire von Gesten und Gesichtsausdrücken vormachen, und stellen sie nach. Mit der Zeit verändern die SE dann ihr Programm, indem sie kleine, zufällige Variationen einbringen …«
    Der Alkohol trat in meinen Blutkreislauf ein. Mit einem Mal bekam ich ungeheuren Hunger. Ich befahl Charlie, das Steak aufzuwärmen.
    »Erst wenn man beobachtet, wie sie beispielsweise versucht, einen Bleistift aufzuheben oder etwas in der Art, sieht man, na, du weißt schon, diese leichte Unbeholfenheit, die Roboter an sich haben«, meinte Ruth und lief mir dabei hinterher. »Weißt
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