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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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konnte?
    Ein Geräusch direkt unter mir zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Liebende küssten sich im Schutz der Dunkelheit am Fuß des Betondamms. Sie küssten und küssten und küssten sich und schmusten bedächtig und sanft miteinander.

Kapitel 8
    I ch ging zum Treffen der Holistischen Liga. Es fand im Veranstaltungsraum einer Bar in Upper Edison statt. Es waren etwa dreißig Leute da, darunter Marija, die in ihrem lockeren weißen Pullover sehr schön aussah. Sie lächelte und bedeutete mir, mich neben sie zu setzen. Ich überlegte noch immer, was ich sagen sollte, als die Sitzung auch schon anfing und der Hauptreferent vorgestellt wurde.
    Es handelte sich um einen Philosophen namens Paul Da Vera, einen auffällig gutaussehenden Brasilianer, der vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als Marija und ich war und ohne zu stocken einen etwa einstündigen, geistreichen Vortrag hielt, der sich vor allem um die Bedeutung und den Ursprung von Worten drehte.
    Ich erinnere mich, dass eines dieser Worte »Geist« war. Da Vera erklärte, dass vortechnologische Gesellschaften alle möglichen Ereignisse der Anwesenheit von Geistern zuschrieben. Technologischere Gesellschaften mit organisierteren Religionen beschränkten die Präsenz von Geistern auf bestimmte Orte: Sie unterschieden »belebte« und »unbelebte« Gegenstände, eine materielle und eine spirituelle Welt. Und dann gab es wissenschaftsbasierte Gesellschaften wie Illyrien und seine Vorläufer, die versucht hatten, sich der Geister ganz zu entledigen.
    Doch Da Vera vertrat die Meinung, dass alle Illyrier, angefangen bei Ullman selbst, nach wie vor an Geister glaubten und ohne eine Vorstellung von ihrer Existenz überhaupt nicht lebensfähig wären – selbst, wenn man sie anders nannte. Dieses Argument illustrierte er anhand typischer Wendungen wie »der Geist des Gesetzes« (im Gegensatz zum »Wortlaut des Gesetzes«), die Ullman und andere regelmäßig in ihren Reden verwendeten. Das Wort »Geist« bezog sich auf Eigenschaften, die den Dingen als Ganzes zukamen und die mehr waren als die Summe ihrer Teile.
    »Und sobald wir die Vorstellung der Ganzheitlichkeit akzeptieren«, sagte Da Vera, »sind wir nur noch einen Schritt entfernt von der Vorstellung des Heiligen, die etymologisch von einer ähnlichen Wurzel, vom ›Heilen‹, abstammt.«
    Das mag recht zahm und selbstverständlich klingen, aber zu jener Zeit war es ziemlich starker Tobak für ein illyrisches Publikum.

    Ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt den Faden verlor, weil meine Aufmerksamkeit von Dringlicherem in Anspruch genommen wurde. Ich hatte beschlossen, Marija zu fragen, ob sie anschließend noch etwas mit mir trinken gehen würde. Aber die Vorstellung, derartige Worte tatsächlich auszusprechen, verursachte mir eine beinahe körperliche Übelkeit. Ich verbrachte praktisch die gesamte zweite Hälfte des Treffens damit, eine Formulierung nach der anderen in Gedanken auszuprobieren und zu verwerfen.
    »Marija, ich habe überlegt, ob du vielleicht Lust hättest …«
    »Hast du noch was vor, Marija, oder wäre dir nach …?«
    »Marija, ich dachte mir, ich trinke noch ein Glas Wein, bevor ich nach Hause gehe, und ich habe darüber nachgedacht …«
    »Kennst du hier in der Gegend eine gute Bar, Marija? Ich meine nur …«
    Derweil beendete Da Vera seinen Vortrag und erkundigte sich nach Fragen und Anmerkungen. Eine Art Diskussion schloss sich an, an der auch Marija teilnahm. Und dann war die Veranstaltung zu Ende.
    »Das war ziemlich interessant, findest du nicht auch, und ich dachte mir, ob du vielleicht eine Bar mit mir willst …«, sagte ich zu Marija.
    »Entschuldigung, wie bitte?«
    (Ich hatte versäumt, mich ihrer Aufmerksamkeit zu versichern, ehe ich zu reden angefangen hatte.)
    »Ich hab gedacht, willst du was trinken?«
    »Was trinken?« Sie lächelte. »Tja, eigentlich gerne, aber ich habe noch was anderes vor …«
    »Ja, natürlich, tut mir leid …«
    Ich hastete davon.
    »Sehen wir uns vielleicht beim nächsten Treffen?«, rief sie mir hinterher.
    An der Tür drückte mir jemand ein Flugblatt in die Hand, und bei der Gelegenheit warf ich einen Blick zurück zu Marija. Sie ging zum Redner Da Vera, legte den Arm um ihn und gab ihm einen Kuss.

Kapitel 9
    T ja, na und? Welche Rolle spielte das schon? Wozu brauchte ich schon andere Menschen? Ich eilte durch die Straßen, wich den Autos aus und schaute die Leute um mich herum nicht an. Nichts konnte mich jetzt noch
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