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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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und reflektierten die Neonlichter des Nachtklubs gegenüber – rot, blau, pink, rot, blau, pink –, so wie die Augen von Puppen und Teddybären das Licht einfangen, ansonsten aber keinen Funken von Leben zeigen. Und sie schwiegen, jedenfalls für menschliche Ohren, wie Standbilder in einem Mausoleum.
    Aber weit jenseits des menschlichen Hörvermögens kommunizierten die HESVEs auf ihre Art. Mit winzigen Ultraschall-Fledermausschreien luden sie einer nach dem anderen die Daten des vergangenen Tages zur Hauszentrale hoch.

Kapitel 12
    A m nächsten Tag machte ich meine Tour mit Manolis. Er zeigte mir die Touristenplätze Ioanninas: die Ruine der Burg des ottomanischen Despoten Ali Pascha, die Kirchen, das verwahrloste archäologische Museum, die Kapellen und Schreine auf der kleinen Insel im See.
    Ich weiß noch, dass die Innenwände einer der Kapellen vom Boden bis zur Decke vollständig von Malereien bedeckt waren. Die meisten zeigten grausige Bilder von Heiligen, die bei lebendigem Leibe gehäutet wurden, Heiligen, die über Feuern brieten, Heiligen, die enthauptet wurden …
    »Sieh nur, wie tapfer unsere Heiligen Märtyrer waren«, sagte Manolis stolz und deutete dabei auf einen Heiligen, der standhaft gen Himmel schaute, während seine Foltermeister ihm die Eingeweide herausrissen. »Es ist ihr Vertrauen in unseren Herrn, das ihnen Stärke verleiht. Das versteht ihr in eurer Stadt nicht!«
    Und einen Moment lang schämte ich mich tatsächlich bei diesem Gedanken, so wie ich mich dem griechischen Übersetzer gegenüber geschämt hatte. Ich erhaschte einen Blick darauf, was Glaube bedeuten konnte: Er konnte eine Kraft jenseits der eigenen unmittelbaren Bedürfnisse und Gefühle sein, an die man sich halten konnte …
    Aber als wir später wieder in Manolis’ Taxi saßen, wurde mir klar, dass es nicht so einfach war. Schließlich hatte der wissenschaftliche Rationalismus seine eigenen standhaften Märtyrer, von Galileo bis Mrs. Ullman, die gelitten hatten oder gestorben waren, weil sie sich geweigert hatten, den Glauben an etwas vorzuschützen.

    Manolis zeigte mir auch anderes, weniger Erhebendes, von dem er annahm, dass es mich in Versuchung führen könnte. Er zeigte mir das Bordell der Stadt, vor dem mehrere fette, gelangweilt dreinschauende Menschenhuren draußen in der Sonne saßen. (»Ich dachte, dass du vielleicht Lust auf ein Mädchen hast«, sagte er, und ich lachte in Gedanken kalt über die Vorstellung, ich könnte von diesen elenden Geschöpfen in Versuchung geführt werden, wo doch zu Hause Lucy auf mich wartete.) Er nahm mich mit auf eine Runde durch das Handwerkerviertel der Stadt. Es gab eine Gerberstraße (in der vor den Werkstätten Haufen von Tierhufen lagen), eine Töpferstraße, eine Mechanikerstraße …
    Er bestand darauf, dass ich ausstieg und mir eine Straße ansah, in der Feuerwaffen repariert und verkauft wurden. Es gab nicht nur Schrotflinten und Jagdgewehre, sondern auch Automatikpistolen, Maschinengewehre und sogar improvisierte Granatwerfer, die angefertigt worden waren, indem man den Lauf von Gewehren abgesägt und an ihrer Stelle Mündungen aus alten Olivenöldosen daran festgeschweißt hatte.
    »Man benutzt sie zum Fischen«, erklärte er. »Man schießt eine Granate in einen Schwarm, und – rumms! – dreißig fette Fische auf einen Schlag!«
    Ich fragte mich, wofür die Granatwerfer noch benutzt wurden und warum Manolis dachte, dass sie einen Besucher aus Illyrien interessieren würden.
    Als wir zum Auto zurückkehrten, sprach uns eine ältliche Frau an. Hinterher erzählte Manolis mir abfällig, dass es sich um eine Walachin gehandelt hatte, eine Aromunin und Angehörige eines schwindenden Bergvolks, das Latein sprach und angeblich von römischen Soldaten abstammte. Sie trug bunte Kleider, aber Lepra hatte ihre Hände in schwarze Stümpfe verwandelt.
    »Helft mir bitte, im Namen der Mutter Maria«, klagte sie in dem überzogenen Jammerton, der bei Ioanninas zahlreichen Bettlern üblich zu sein schien.
    Manolis schnaubte.
    »Hat keinen Sinn, ihm mit Maria zu kommen, Alte. Er ist aus der Stadt.«
    »Im Namen der Stadt dann!«, klagte die Alte. »Im Namen des großen silbernen Turms im Meer!«
    Lachend stieg Manolis ins Auto und drehte den Zündschlüssel um. Doch mich rührte ihre Anrufung des silbernen Leuchtturms. Ich gab ihr einen Zwanzig-Drachmen-Schein und stieg dann ebenfalls ein.
    Als wir in einer dicken Abgaswolke davonbrausten, deutete der Taxifahrer in eine
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