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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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hätte ich nie so nennen können. Sie war nie gerne eine Mama gewesen.
    Dann brach der Damm, und zum ersten Mal, seit ich ein kleines Kind gewesen war, liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Kapitel 75
    H ilf uns! Hilf uns!«
    »Heiliger, mein Kleiner – er ist blind!«
    »Bitte hilf meiner Mutter, sie leidet solche Schmerzen!«
    »Heiliger, hier! Bitte! Bitte!«
    Hinten auf der Ladefläche eines Toyota-Transporters, zu beiden Seiten gestützt von Alec und Steve, drehte der Maschinen-Messias seinen Kopf langsam und steif von links nach rechts, um sich einen Überblick über die gewaltige Menge zu verschaffen. Überall schauten Gesichter zu ihm auf, weinende Gesichter, flehende Gesichter, ehrerbietige Gesichter. Zehntausende drängten sich auf dem staubigen Platz und winkten, schrien, weinten. Sie kletterten einander auf die Schultern, in der Hoffnung, die kleine, zerbrechliche Gestalt besser sehen zu können, die schwankend auf dem zerbeulten Wagen stand.
    »Hier, Heiliger! Bitte schau her zu mir!«
    »Verwandele Wasser in Wein, wie du es in Vlora getan hast!«
    »Erschaffe Manna zu unserer Speisung wie in Skopje!«
    »Segne uns, Heiliger!«
    »Mein kleiner Junge …«
    »Schau her zu mir …«
    »Bitte …«
    »Er ist erst sechs Jahre alt und blind …«
    Solch hingebungsvolle Verehrung hätte wahrscheinlich jeden Menschen um den Verstand gebracht. Unter dem Druck all dieser Liebe hätte ein Mann oder eine Frau aus Fleisch und Blut bald selbst geglaubt, die Wunder vollbringen zu können, die ihm oder ihr zugeschrieben wurden, hätte sich bald selbst als Mittelpunkt des Universums und fleischgewordenen Gott betrachtet.
    Doch der Maschinen-Messias hatte keine derartigen Anwandlungen. Von seinem Platz hinten auf dem Transporter ließ er den Blick über die Menge schweifen, blickte langsam von links nach rechts und wieder zurück, so wie er vielleicht auch eine gewöhnliche Straße oder die weißen Gänge des Klosters begutachtet hätte, in dem er zu Hause war. Er hatte kein Verlangen nach Ruhm oder Größe – nicht, weil er besonders tugendhaft oder willensstark gewesen wäre, sondern schlicht und einfach, weil die Voraussetzungen für solche Empfindungen niemals Teil seiner Konstruktion gewesen waren.
    Er existierte, um der Menschheit zu dienen. Die Menschheit schien seine Einsichten hören zu wollen. Also teilte er sie mit ihr.
    Langsam schob sich der Toyota durch die Menge.
    »Macht Platz, bitte! Macht Platz!«
    »Nur eine Berührung, Heiliger!«
    »Macht Platz!«
    Einmal mehr ließ der Maschinen-Messias den Blick von links nach rechts und zurück wandern. Für ihn sah alles unscharf und gekörnt aus, und plötzlich kehrten sich die Farbwerte von allem, was er sah, einen Moment lang um, bevor es um ihn herum ganz schwarz wurde.
    Bin ich nun endgültig erblindet?, dachte der Maschinen-Messias ruhig, während seine Gehilfen ihn fester packten, damit er nicht fiel.
    In der Dunkelheit bewegte er sich langsam weiter. Dann hielt der Transporter an, und plötzlich rauschten Farben vor seinen Augen, und seine Sicht stellte sich teilweise wieder her, als seine Gehilfen ihm auf ein Holzpodest halfen. Der Maschinen-Messias erkannte ein weites Meer von Gesichtern. Die meisten davon waren bloß verschwommene Flecken, doch hier und da sah er einige aus irgendeinem Grund seltsam deutlich.
    Der Roboter hielt sich am Geländer fest. Seine Sicht war seit Monaten schlechter geworden, genau wie sein Gehör. Sein rechtes Bein ließ sich nicht mehr krümmen. Seine Schüler hatten alles Mögliche getan, um ihm zu helfen. Sie hatten Nachricht nach Athen und Mailand und Belgrad geschickt und unermüdlich nach Ingenieuren gesucht, die noch Erfahrung mit Computern und Robotik hatten, und einige kleine, behelfsmäßige Reparaturen durchführen lassen. Sie hatten es sogar in Illyrien versucht, wo man ihnen jedoch die Hilfe versagt hatte. Doch letztlich zerfiel der Maschinen-Messias langsam in seine Einzelteile, und selbst die illyrischen Ingenieure, die ihn hergestellt hatten, hätten sein bevorstehendes Ende kaum verhindern können.
    »Meine Freunde«, begann der Maschinen-Messias schließlich zu sprechen, »meine Freunde, danke, dass ihr mich eingeladen habt, damit ich hier in Tirana zu euch spreche …«
    Er hielt inne und wartete, während seine Worte ins Albanische übersetzt wurden. Im verschwommenen, mit Flecken übersäten Sichtfeld des Roboters trat plötzlich das Gesicht eines aromunischen Hirtenjungen klar hervor. Er hatte
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