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Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Messias-Maschine: Roman (German Edition)

Titel: Messias-Maschine: Roman (German Edition)
Autoren: Chris Beckett
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Auto am Straßenrand stehen und gingen durch die Olivenhaine, bis wir einen Blick aufs Meer hatten. Dann setzte Ruth sich an einen Baumstumpf gelehnt hin und wickelte ihren Körper aus. Da ein großer Teil des Unterleibs und alle Gliedmaßen fehlten, war er tatsächlich kaum größer als ein kleines Kind. Sie wiegte ihn in ihren Armen. Sein Atem pfiff durch das Ventil in seiner Brust. Die elektrische Pumpe brummte leise. Das Herz pochte gleichmäßig unter ihrer Ersatzhand.
    Ich lehnte mich an einen anderen Baum, schaute ihr zu und fragte mich dabei, ob sie mich je so im Arm gehalten hatte, wie sie dieses verstümmelte Etwas im Arm hielt.
    »Es kann nicht länger als zwei Stunden überleben.« Mit diesen Worten hatte sich Dr. Hammer von uns verabschiedet. (Mit »Es« hatte er natürlich ihren Körper gemeint. Als »Sie« hätte er wohl eher ihren Syntec-Körper bezeichnet.)
    Zweifellos hatte er gehofft, dass die Vernunft noch rechtzeitig siegen würde und dass Ruth ihren Körper zurückbringen und ihr sorgloses Leben im SenSpace wieder aufnehmen würde.
    »Nicht mehr als zwei Stunden da draußen«, hatte er wiederholt.
    Nachdem etwa eine Stunde verstrichen war, legte Ruth das seltsame Bündel behutsam auf den Boden und ließ sich von mir die Gartenschaufel geben, die wir gekauft hatten. Sie suchte sich einen guten Platz zwischen den Olivenbäumen und fing an zu graben.
    Es war eine billige Schaufel, und die Erde war fest und steinig. Auf halbem Wege brach der Griff ab. Ruth fluchte. Sie warf den nutzlosen Griff beiseite und fing an, mit den Händen zu graben. Die Zeit wurde für sie immer knapper. Ich bot ihr meine Hilfe an, doch sie beschimpfte mich bloß wild wie ein zähnefletschender Hund. Mit unbeholfenen Syntec-Händen wühlte sie in der trockenen, steinigen Erde, bis das Fleisch sich in blutigen Streifen von den Plastikfingern löste.
    Schließlich war sie zufrieden. Sie wandte sich von dem seichten Loch ab und hob das Gehäuse mit den Organen und dem Fleisch darin auf. Dann zog sie mit ihren Plastikfingern unbeholfen an der Plastikhülle, die das Gesicht bedeckte – wenn man so etwas als Gesicht bezeichnen konnte. Als sie eine Wange freigelegt hatte, beugte sie sich vor und küsste die feuchte, blasse Haut.
    Und in dem Moment, in dem sie sich diesen Kuss gab, spürte sie ihn – die warmen Lippen eines unsichtbaren Wesens, die sanft ihre Wange berührten.
    Ruth lächelte, legte das Bündel vorsichtig in das Loch, das sie dafür gegraben hatte, und bedeckte es mit einem kleinen Haufen Erde, wobei sie nur den Atemschlauch herausschauen ließ, damit sie in Ruhe sterben konnte, anstatt zu ersticken.
    Das war das Letzte, was die Welt von der kleinen Ruth Simling sah, von der sie ohnehin nie viel bemerkt hatte, da sie die Gesellschaft von Maschinen und die Sicherheit in Einsamkeit vorgezogen hatte.

    Doch ein letztes Mal sollte sie noch sprechen.
    Als Ruth fertig war, legte sich ihr rothaariger Mietkörper neben den Erdhaufen, einen Arm schützend über ihr eigenes Grab gelegt, und wartete. Inzwischen waren zwei Stunden vergangen, und die Nährstoffvorräte in dem Blut, das unterm Erdreich noch immer durch die Adern strömte, waren beinahe aufgebraucht. Aber Ruth war immer noch wach, gerade so.
    »Weißt du, George, das ist kein Selbstmord«, sagte der Körper unter der Erde durch seinen Syntec-Mund. »Es ist das Gegenteil von Selbstmord.«
    Ich nickte. Der Mietkörper ließ den Kopf sinken und regte sich nicht mehr. Der Luftstrom aus dem gelben Schlauch wurde langsam schwächer.

Kapitel 74
    D er Mietkörper stand auf. »Ich erhalte keine Anweisungen mehr über den SenSpace«, sagte er zu mir. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich zu meinem Anbieter zurückbringen würden. Bei meiner wohlbehaltenen Rückgabe wird eine Kaution ausbezahlt.«
    Ich nickte, und der rothaarige Roboter und ich gingen durch den Olivenhain zu meinem Auto.
    Zuerst fühlte ich mich sehr ruhig, als wäre überhaupt nichts geschehen. Mit dem wunderschönen Syntec auf dem Beifahrersitz fuhr ich durch die sonnige Sommerlandschaft nach Illyria City zurück.
    Doch dann begann ich zu zittern, und bald zitterte ich so heftig, dass ich unmöglich weiterfahren konnte. Ich fuhr rechts ran. Der Druck hinter meinen Augen fühlte sich schlimmer denn je an.
    »Mami«, flüsterte ich, während der wunderschöne Syntec regungslos neben mir saß und stur geradeaus starrte, die zerschundenen Hände im Schoß. »Mami, Mami, Mami …«
    Ruth selbst
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