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Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Titel: Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
Autoren: Thomas A. Barron
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zu Dagda. Verdruss ging auf meiner Schulter hin und her und flatterte mit den Flügeln.
    Der Alte holte tief Luft. »Du hast noch Zeit, wenn auch nicht viel. Es bleiben nur noch wenige Stunden, bis das vierte Viertel
     des Mondes erlischt. Und dann ist auch die Frist deiner Mutter abgelaufen.«
    »Das Elixier«, bat ich. »Kannst du es uns geben?«
    Dagda griff zu einem dicken Ast hinunter. Vorsichtig berührte er mit der Fingerspitze einen Tautropfen. Als der Tropfen sich
     löste, bedeckte er die Fingerspitze mit einer dünnen, glänzenden Schale. Mit den anderen Fingern nahm Dagda sie herunter.
     Sie saß auf seiner Hand wie eine winzige Kristallphiole. Dagda zuckte leicht zusammen. Im selben Moment füllte sich die kleine
     Flasche mit einem einzigen Tropfen roter Flüssigkeit. Dagdas Blut. Als die Phiole gefüllt war, versiegelte sie sich.
    »Hier.« Seine Stimme war heiser, als hätte ihn der Vorgang geschwächt. Mit zitternder Hand reichte er mir das Fläschlein.
     »Nimm es.«
    Während ich meinen Lederbeutel öffnete und das Elixier hineinlegte, spürte ich, wie Verdruss seine Krallen in meine Schulter
     grub. Der Falke kuschelte seine weichen Federn an meinen Nacken.
    Dagda kannte meine Frage, noch bevor ich sie stellte. »Nein, Merlin, er kann nicht bei dir bleiben. Dein FreundVerdruss gab sein irdisches Leben am verhüllten Schloss, um deines zu retten. Er gehört jetzt hierher.«
    Der Falke pfiff leise. Während der Nebel sich um uns bauschte, schauten die gelb geränderten Augen in meine. Zum letzten Mal
     sahen wir einander an.
    »Du wirst mir fehlen, Verdruss.«
    Der Vogel schmiegte sich wieder an meinen Hals, dann entfernte er sich langsam.
    Auch Dagda sah traurig aus. »Es wird dein Herz jetzt nicht erleichtern, Merlin, aber ich glaube, dass du eines Tages in einem
     anderen Land den Griff der Klauen eines anderen Vogels auf deiner Schulter spüren wirst.«
    »Ich will keinen anderen Vogel.«
    »Das verstehe ich.« Der Alte streckte die gesunde Hand nach mir aus und streifte meine Wange. »Ich fürchte, ihr müsst jetzt
     getrennte Wege gehen. Obwohl niemand alle Wendungen kennt, die diese Wege einschlagen.«
    »Noch nicht einmal du?«
    »Noch nicht einmal ich.« Dagda hob den Mistelzweig von meiner Schulter. »Geht jetzt, meine Kinder, und seid tapfer.«
    Der letzte Schrei von Verdruss klang mir noch in den Ohren, als der wirbelnde Nebel wie eine Welle über mir zusammenschlug
     und alles verschluckte.

XXXV
EIN ZAUBERSTAB
    E in Blitz erlosch in der Finsternis. Das einzige Licht kam von den wenigen Sternen am Himmel. Ich stellte fest, dass ich noch
     kniete und Rhia neben mir saß. Doch zerklüftete Felsen und steile Klippen umgaben uns statt des dichten Nebels; ein Kreis
     aus polierten Steinen war dort, wo der Baum der Seele gewesen war. Nicht weit entfernt lag still der Leichnam eines riesigen
     Kriegers.
    Ich griff nach Rhias Hand. »Wir sind wieder am Schacht.«
    »Nur zu wahr, zu wahr, zu wahr.« Die gekrümmte Gestalt von Bumbelwy tauchte auf. »Ich dachte, du würdest nie zurückkommen.
     Und wie ich sehe, hast du den Körper von . . .«
    »Rhia«, unterbrach sie ihn. »Am Leben und gesund.«
    Bumbelwy erstarrte mitten im Schritt. Selbst in dem schwachen Licht konnte ich sehen, wie er die Augen aufriss. Dann bogen
     sich kurz seine Lippen und mehrfachen Kinne ganz leicht nach oben. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Aber ich war
     mir sicher, dass er tatsächlich gelächelt hatte.
    Ich schaute zum Himmel und suchte nach irgendeinem Anzeichen des Mondes. Doch ich konnte nichts finden. Gar nichts. Ich biss
     mir auf die Lippe. Wenn ich nur nicht kostbare Minuten mit Rhita Gawr vergeudet hätte!
    Rhia deutete plötzlich auf einen schwachen Lichtschimmer, der gerade hinter einer Wolke aufgetaucht war. »Oh, Merlin! Das
     ist alles, was vom Mond noch übrig ist. Vor dem Morgengrauen wird es ihn nicht mehr geben!«
    Ich sprang auf die Füße. »Und unsere Mutter auch nicht, es sei denn, wir sind vorher bei ihr.«
    »Aber wie?« Rhia stand auf und schaute zum südlichen Himmel. »Arbassa ist so weit entfernt.«
    Wie zur Antwort schwankte der ganze Berg in einem plötzlichen Erdbeben. Dann kam das nächste, noch stärker. Und wieder eins.
     Ein viertes. Steine polterten von den Klippen zu beiden Seiten herunter. Ich zog meinen Stock aus dem Gürtel und stützte mich
     darauf, damit ich das Gleichgewicht nicht verlor. Dann nahm mein zweites Gesicht eine Gestalt am Horizont wahr. Wie ein
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