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Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Titel: Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
Autoren: Thomas A. Barron
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hinauf in die knorrigen Wurzeln des Baums der Seele. Als er eine Augenbraue hochzog,
     flog ein Nebelring in Spiralen den Stamm hinauf. »Die nächste Lektion, glaube ich, hat dich überrascht.«
    »Benennen. Ich brauchte einige Zeit – und ein zerbrochenes Brotmesser   –, bis ich lernte, dass ein wahrer Name wahre Kraft bedeutet.« Ich überlegte. »Ist Merlin mein wahrer Name?«
    Der Alte schüttelte den silberhaarigen Kopf.
    »Dann kennst du vielleicht meinen wahren Namen?«
    »Ich kenne ihn.«
    »Würdest du ihn mir sagen?«
    Dagda dachte darüber nach. »Nein. Noch nicht. Aber ich werde es tun. Wenn wir uns zu einem glücklicheren Zeitpunkt wieder
     sehen, wenn du den mächtigsten aller Feinde besiegt hast, dann werde ich dir deinen wahren Namen nennen.«
    Ich wurde bleich. »Den mächtigsten aller Feinde? Du musst Rhita Gawr meinen.«
    »Vielleicht.« Er deutete auf den Stern im Kreis. »Jetzt das Springen.«
    »Das ist eine erstaunliche Fertigkeit. Die große Elusa nutzte sie, um uns bis ins Land der Bäumlinge zu schicken. Auch Gwri
     mit den goldenen Haaren hat sie angewandt, um Rhia eine Vision vom Andersweltschacht zu geben.« Ich senkte die Stimme. »Und
     Rhita Gawr hat sie gebraucht, um den Todesschatten zu meiner Mutter zu schicken.«
    Die silbrigen Augenbrauen hoben sich. »Zu deiner Mutter?«
    Ich trat unbehaglich auf dem nebligen Boden hin und her. »Nun, nein. Zu mir. Aber er hat stattdessen meine Mutter getroffen.«
    »Was ist also die Seele der Kunst des Springens?«
    Der flutende Nebel, der uns umgab, nahm meine Aufmerksamkeit gefangen. Anmutig wand er sich um Dagda und mich, berührte uns
     beide, während er den umgekehrten Baum umfasste und die großen Wurzeln umschlang, die wieder die Welt darüber umarmten. »Alles«,
     erklärte ich, »hängt mit allem anderen zusammen.«
    »Gut, mein Sohn, gut. Und was ist mit dem Erledigen?«
    »Das lernte ich von einem schlafenden Drachen. Und von . . . einem Spaßmacher.« Ich grinste. »Sie zeigten mir, dass jedes
     Geschöpf kostbar ist.«
    Dagda beugte sich zu mir. »Selbst ein Drache?«
    »Selbst ein Drache.«
    Nachdenklich strich er sich übers Kinn. »Ich glaube, du wirst diesen Drachen wieder sehen. Wenn er erwacht.«
    Ich hielt die Luft an. Doch bevor ich etwas fragen konnte, redete er weiter.
    »Sehen. Erzähl mir jetzt vom Sehen.«
    Meine Zunge mühte sich tonlos, bevor die Worte kamen. Schließlich brachte ich flüsternd heraus: »Das Herz sieht, was für das
     Auge unsichtbar bleibt.«
    »Hm. Was noch?«
    Ich dachte einen Moment nach. »Nun, jetzt, wo ich ein wenig über das Sehen mit dem Herzen weiß, kann ich vielleicht besser
     in mich hineinsehen.«
    Dagda schaute mich aus tiefen braunen Augen an. »Und wenn du dorthin schaust, mein Sohn, was siehst du dann?«
    Ich räusperte mich, wollte etwas sagen und hielt mich zurück. Ich suchte nach den richtigen Worten, bevor ich wieder anfing.
     »Es ist . . . nun, es ist wie der Abstieg im Andersweltschacht. Je tiefer ich komme, umso mehr entdecke ich.« Mit abgewandtem
     Gesicht sagte ich leise: »Und was ich entdecke, kann wirklich zum Fürchten sein.«
    Der Alte betrachtete mich mitfühlend. »Was siehst du noch?«
    Ich seufzte. »Wie wenig ich wirklich weiß.«
    Dagda streckte den Arm aus und nahm meine Hand in seine. »Dann, Merlin, hast du etwas Unschätzbares gelernt.« Er kam auf dem
     Nebelboden näher. Dunstfetzen kreisten um uns beide. »Wirklich unschätzbar! Bis jetzt hast du die Seelen der Strophen gesucht.
     Aber zu wissen, wie wenig du wirklich weißt – demütig zu sein   –, das, mein Sohn, ist die Seele der Magie.«
    Verwirrt neigte ich den Kopf.
    »Ich glaube, mit der Zeit wirst du das ganz verstehen. Denn Demut ist nichts anderes als der aufrichtige Respekt vor dem wundersamen,
     überraschenden Lauf der Welt.«
    Ich nickte langsam. »Das klingt wie etwas, das Rhia sagen würde.« Ich schaute auf ihre leblose Gestalt und fragte ängstlich:
     »Kannst du sie noch retten?«
    Dagda antwortete nicht.
    »Kannst du es?«
    Einen endlosen Moment lang betrachtete er mich schweigend. »Ich weiß es nicht, mein Sohn.«
    Meine Kehle zog sich zusammen, als wäre sie noch in Balors Griff. »Ich bin ein solcher Narr gewesen! Ich habe so viel Schaden
     angerichtet.«
    Dagda deutete mit dem Finger auf ein dahinschwebendes Nebelband, das sich sofort streckte. Zugleich schaute er auf eine andere
     dünne Linie, die sich plötzlich zu einem festen kleinen Ball zusammenrollte. Dann
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