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Merlin und die Fluegel der Freiheit

Merlin und die Fluegel der Freiheit

Titel: Merlin und die Fluegel der Freiheit
Autoren: Thomas A. Barron
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unterbrechen. Das Tier legte den Kopf wieder auf den stachligen Rücken, schloss die Augen
     und schlummerte weiter.
    Rhia klopfte auf den Griff meines Stocks. »Zu deiner Beruhigung, ich nehme den kürzeren Weg zum Sternguckerstein. So habt
     ihr beide ein bisschen mehr Zeit für, nun, fürwas ihr wollt.« Sie zog eine Augenbraue hoch. »Nur denk daran, die Bäume schauen zu.«
    Ich machte eine verlegene Geste, mir war auf einmal ziemlich warm in meiner Tunika.
    Mein Unbehagen machte ihr sichtlich Spaß. Sie flüsterte mir ins Ohr: »Ihr zwei verdient ein bisschen Zeit allein.«
    Scullyrumpus in ihrem Ärmel schnaubte. »Unbeholfener Mannomann weiß sowieso nicht, was tun.«
    Bevor ich antworten konnte, griff Rhia hoch und packte den niedrigsten Ast der Hemlockstanne über uns. Sie schwang sich hinauf
     und winkte uns zu. »Bis zum Abendessen.«
    »Warte«, protestierte ich. »Es gibt keinen kürzeren Weg zum Sternguckerstein. Dieser Pfad ist der einzige.«
    »Er ist ein Weg«, rief sie zurück, »aber nicht der kürzeste.«
    Sie zischte dreimal hintereinander. Der Tannenast beugte sich tief herunter, fast bis zum Boden. Rhias Gesicht leuchtete,
     als sie die Locken nach hinten warf. Scullyrumpus machte es ihr nach und schlug die Ohren gegen die pelzigen Wangen. Noch
     ein Zischen – und der Ast sauste hinauf und schleuderte sie hoch in die Luft.
    »Huii-hii-hiii«, rief Rhia, breitete die Arme aus und spreizte die Beine. Noch während sie in der Luft schwebte, streckte
     sich ihr ein unbelaubter Eichenast entgegen und fing sie auf. Dieser Ast schaukelte sie einen Moment, trug sie höher und schleuderte
     sie dann über das Blätterdach zu den wartenden Ästen einer Zeder. Die Zeder warf sie liebevoll mehrmals hoch, verstreute dabei
     Zapfen in alle Richtungen und ließ sie dann weiterfliegen. Sekunden später waren Rhias Freudenschreie in dem Flüstern und
     Plappern der Bäume um uns herum untergegangen.
    Ich lächelte, während ich zusah, wie sie verschwand. »Sie ist teils Adler, teils Baum.«
    »Ja«, stimmte Hallia zu. »Und sie liebt dich so sehr, wie sie den Wald liebt.«
    »Wie kommst du darauf?«
    Sie bückte sich nach ein paar harzverklebten Zapfen, hob sie ans Gesicht und atmete tief ihren Duft ein. Nach einem Moment
     hielt Hallia mir die Zapfen hin. Wie sie genoss ich das frische, reiche Aroma.
    »Weil Rhia weiß«, sagte sie leise, »dass für uns ein wenig Zeit das schönste aller Geschenke ist.«

III
HIMBEERSIRUP
    W ir hatten den Waldrand noch nicht erreicht, da rochen wir Rhias Kochstelle. Der würzige Rauch umwand Hallia und mich wie ein
     langer Schal und zog uns aus dem Zweiggewirr in die grasige Lichtung. Ein kleiner, aber steiler Hügel erhob sich vor uns,
     gekrönt von dem großen flachen Felsen, der mein Sternguckerstein war. Oben auf dem Stein kräuselte sich Rauch in die Höhe
     und verzweigte sich wie ein fedriger Baum, bevor er mit dem dämmrigen Himmel verschmolz.
    Wir blieben im kniehohen Gras stehen, ein paar Sekunden wollten wir noch für uns allein haben. Hallia beobachtete mich wie
     ich sie, wir atmeten beide im selben Rhythmus. Ich fuhr ihr mit dem Finger übers Kinn. Scheu wandte sie sich ab, doch nicht
     ganz. Ich beugte mich näher, drehte ihr Gesicht wieder dem meinen zu und küsste sie sanft auf die Lippen.
    »Er wusste es«, flüsterte sie. »Mein Bruder Eremon wusste es. Erinnerst du dich an das, was er sagte, bevor er in die Anderswelt
     der Geister ging?«
    Ich nickte. »Dass ein Tag kommen werde, an dem du wieder glücklich sein würdest.«
    Sie schluckte und wischte sich die Feuchtigkeit von der Wange. »An dem ich vor Freude überströmen würde, sagte er,
wie der Fluss im Frühling von Wasser überströmt
.« Nach einer langen Pause sagte sie leise: »Ich kann mir nicht vorstellen ohne dich zu leben, junger Falke.«
    »Und ich mir nicht ohne dich, Eo-Lahallia.« Ich räusperte mich. »Es gibt etwas, das ich dir schon lange geben möchte. Ich
     wollte es heute Nacht tun, unter den Sternen, aber ich gebe es dir lieber jetzt, solange wir noch allein sind.«
    »Was könntest du mir denn noch geben?«
    »Das.« Ohne den Blick von ihr zu wenden griff ich in meinen Lederbeutel. Langsam holte ich meine verbogene, geschwärzte Psaltersaite
     hervor. »Das ist für dich.«
    Ihre rehbraunen Augen schimmerten. Langsam legte sich ein Lächeln über ihr Gesicht. Ich wusste, dass sie sich erinnerte, wie
     diese Saite uns einmal das Leben gerettet hatte – und unserer Freundin,
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