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Meridian

Titel: Meridian
Autoren: Amber Kizer
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der
New York Times
gelesen und auf das Datum gezeigt. Gesprochen hat er nicht. Ich saß eine lange Zeitmit ihm am Tisch, während er die Zeitung las und seinen Kaffee trank. Endlich war er mit dem Kreuzworträtsel fertig. Er gehörte zu den seltenen Menschen, die es stets mit dem Kugelschreiber ausfüllten und immer vollständig lösten. Aber diesmal hatte er nur ein einziges Wort eingetragen, eine Zeile, und er schob mir die Seite über den Tisch hinweg zu. In den Kästchen habe ich deinen Namen gesehen. Er nickte, und dann war der Traum vorbei. Also habe ich mir gedacht, ihr müsstet euch die heutige Zeitung anschauen, weil etwas darin steht, was für euch wichtig ist.« Sie hielt uns eine ordentlich gefaltete Ausgabe der
Times
und einen Schlüsselring hin.
    »Das sind die Schlüssel zu diesem Pick-up. Er ist zwar keine Schönheit, wird aber noch einige Jahre laufen. Und nachdem ich den Rover gesehen habe, dachte ich mir, dass ihr sicher einen fahrbaren Untersatz braucht. Ich muss in New York schließlich kein Heu herumkarren.« Sarah lachte auf, wir beide lächelten.
    »Meldet euch, wenn ihr je in der Gegend seid. Dann bekommt ihr einen Schlafplatz und eine warme Mahlzeit.« Sie schüttelte Tens die Hand.
    Ich umarmte sie. In diesem Moment wurde mir klar, dass es auf der Welt noch mehr gute Menschen gab als die Portalsos. Menschen, die wussten, dass sich nicht alles im Leben so einfach erklären ließ, und die bereit waren, ihren Herzen und Instinkten zu vertrauen.
    Wortlos machte Sarah kehrt und ging die Straße entlang.
    »Warte, sollen wir dich nicht mit dem Auto mitnehmen?«, rief ich ihr nach.
    »Nein, der Spaziergang wird mir guttun. Außerdem sindes ja nur ein paar Kilometer, wenn man die Abkürzung kennt.« Sie winkte uns zu und marschierte weiter.
    Als Tens den Arm um mich legte, lehnte ich mich an ihn.
    »Was jetzt?«, fragte ich.
    »Ich finde, du solltest die Zeitung lesen, um festzustellen, was Jasper uns mitteilen wollte.«
    Ich breitete die Zeitung aus, stieß jedoch erst im bundesweiten Nachrichtenteil auf die gesuchte Meldung. »Schau dir das an!«
    Ich zog Tens näher heran. »Herrje, was für eine Schlagzeile.« Er las laut vor: »Mädchen und Katze – Todesengel in Pflegeheim.«
    »Hältst du es für möglich?«
    »Ich finde, dort sollten wir anfangen.«
    Ich nickte. »Was machen wir mit Custos? Sie möchte uns doch sicher begleiten. Wir können sie schlecht allein hierlassen.« Die Vorstellung, sie aufzugeben, brach mir das Herz.
    »Dreh dich um, Meridian. Ich glaube, dieses Problem hat sich schon gelöst.«
    Custos war bereits auf die Ladefläche des Pick-up gesprungen und hatte sich an den hinteren Radkasten geschmiegt.
    »Also fahren wir?«
    »Wohin?«
    »Hier steht, dieses Pflegeheim sei in Indianapolis.«
    »Dann ist das vermutlich unser nächstes Ziel. Wie gut bist du im Kartenlesen?«
    »So einigermaßen.« Ich kicherte, war aber schlagartig ernüchtert, als mir der Geruch nach verkohltem Holz undverbranntem Plastik in die Nase stieg. Noch einmal betrachtete ich die Ruine. »Glaubst du, wir kommen zurück?«
    »Vielleicht. Ich habe ganz den Eindruck, dass du eines Tages das Haus wiederaufbauen musst.«
    »
Wir. Wir
müssen das Haus wiederaufbauen.« Ich verschränkte die Finger mit seinen.
    »Wir.«
    Auf der Fahrt den Highway entlang zerzauste der Wind mein Haar. Die Sonne wärmte meine nackten Zehen auf dem Armaturenbrett, und mein Herz fühlte sich endlich so an, als hätte es die richtige Größe für meine Brust.
    Im Radio lief »Don’t Sit Under the Apple Tree« von Glenn Miller, und ich konnte fast sehen, wie Tante Merry zwischen mir und Tens saß und lächelnd mit den Zehen den Takt mitklopfte. Die Erde drehte sich weiter, aber sie hatte sich verändert. Als in der Ferne die Sonne unterging, stiegen mir ein paar Tränen in die Augen. »Jetzt geht sie für jemand anderen auf.«
    »Vielleicht für eine andere Fenestra?«, fragte Tens.
    »Oder für einen anderen Wächter«, antwortete ich.
    Für eine andere Schwester möglicherweise. Da ich wusste, dass ich meine Familie nicht so bald wiedersehen würde, sang mein Herz ein trauriges Lied. Doch solange die Aternocti in der Lage waren, ihnen Schaden zuzufügen, durfte ich sie nicht in Gefahr bringen.
    Der Himmel erstrahlte in prachtvollen Rosa- und Orangetönen, als wir weiter nach Osten fuhren.
    »Welches Datum haben wir heute?«
    »Warum?« Tens blinkte und bog in die Schnellstraße ein. Vor uns und hinter uns war nichts vom FBI
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