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Meridian

Titel: Meridian
Autoren: Amber Kizer
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gestiegen und haben uns auf den Weg gemacht.«
    »Wegen eines Traums?«, wunderte ich mich.
    »Mama würde darauf antworten, dass Träume die Verbindung zwischen den Welten und den Geistern sind. So setzt Gott sich mit uns in Verbindung.«
    »Aber wie …«
    »Wir waren an der Weggabelung. Die ganze Nacht waren wir schon unterwegs, ohne Sie zu finden. Wir wollten schon umkehren und es noch einmal versuchen, nachdem ich die Babys gefüttert hatte, als Ihre Wölfin plötzlich mitten auf der Straße lag. Sie rührte sich einfach nicht von der Stelle, und als ich ausstieg, um festzustellen, ob sie verletzt ist,spuckte sie meine Visitenkarte aus. Deshalb sind wir ihr hierher gefolgt.«
    Ich lächelte Custos zu und beobachtete, wie die Senora ein halbes Hähnchen an sie verfütterte. Tens schlug stöhnend die Augen auf. Er trank ein halbes Glas Wasser.
    »Sind Sie sicher, dass er durchkommt?«
    »Ja, seine Temperatur ist bald wieder normal, das Herz schlägt regelmäßig. Sogar der Ausschlag scheint zurückzugehen.«
    »Dann wirkt das Medikament also?«
    »In den meisten Fällen geht das nicht so schnell. Es ist mir rätselhaft.«
    »Los ángeles de Dios.«
Die Senora tätschelte mir den Kopf und berührte ihre Herzgegend.
    »Die Engel Gottes? Vielleicht. Eine bessere Erklärung fällt mir auch nicht ein.«
    Ich fragte mich, ob Josiahs Licht auch heilend wirkte.
    In der Nacht wachte Tens auf und trank so viel Wasser, dass ich schon dachte, er würde platzen. Dann schlief er wieder tief und fest. Ich wälzte mich herum, bis ich es schließlich aufgab. Um vier ließen sich unsere Gäste von Custos zurück zum Auto führen. Tens war zwar nun über den Berg, doch wir waren auf der Flucht vor dem Gesetz.
    Ich holte das dicke Tagebuch hervor, las immer wieder die Worte meiner Ahninnen und prägte mir Einzelheiten, Daten und Zeiten ein. Falls ich dieses Buch je verlor, würde auch ich verloren sein. Ich vertiefte mich in die Geschichten, suchte nach dem Unausgesprochenen und saugte das Wissen in mich auf.
    »Meridian?« Tens’ Stimme klang belegt und heiser.
    »Hier bin ich.« Ich eilte zu ihm hinüber. »Wie geht es dir?«
    »Ich habe Durst. Schon viel besser.« Als er sich aufsetzen wollte, sank er mit einem Stöhnen wieder zurück.
    »Die Ärztin sagte, du brauchtest noch ein paar Tage, um wieder zu Kräften zu kommen. Bis dahin dürfte die Suche nach uns abgeblasen sein. Ich habe strikte Anweisung, mit Perimos Satellitentelefon anzurufen, falls etwas passiert.«
    Die Telefonnummer, unter der sich mein Bruder gemeldet hatte, war außer Betrieb.
    »Was ist geschehen?«
    »Das erzähle ich dir später. Wir haben viel Zeit.«

     
     
 
     
    Wir leben neben euch und mit euch. Wir sind eure Freundinnen und Nachbarinnen. Vielleicht kennt ihr unsere Familiennamen: Porte, Tussen, Mittlere, Medio, Portello, Castor, Gannon, Lukus, Myer, Orly, Ailey, Wynn und so weiter. Unsere Vornamen sind euch vielleicht aus der Geschichte bekannt oder gehören einer Freundin: Alison, Cassandra, Cynthia, Deidre, Eleanor, Helena, Leann, Noamy, Lucy, Nellie, Ranessa, Leah und noch viele mehr.
    Wir leuchten knapp außerhalb eurer Sichtweite. Wir werden da sein, wenn ihr uns braucht, und dann werdet ihr empor steigen.
     
    Meridian Fulbright, 1903–2009

Kapitel 35
     
     
    Ich schrieb das Todesdatum meiner Tante unter eine ihrer ersten Eintragungen in das Buch. Es erschien mir unpassend, den Texten der mehr als ein Dutzend anderen Autorinnen etwas hinzuzufügen, denn ich glaubte, mir dieses Privileg noch nicht wirklich verdient zu haben. Doch vielleicht würde ich mich im Laufe der Zeit daran gewöhnen. Ich wollte meine eigene Geschichte aufschreiben, die moderne Version dieser Lektionen. Für alle Fälle. Nur für alle Fälle. Hoffentlich würde ich noch mehr lernen und mein Wissen erweitern.
    »Schicker Stift.« Ich hörte Tens an, dass er grinste und mich auf den Arm nehmen wollte.
    Ich benützte einen mit Strasssteinen besetzten Stift, der mich immer wieder zum Lachen brachte. »Mein Geburtstagsgeschenk von Sammy. Josiah hat ihn in meinen Rucksack gesteckt, als er hier erschien.« Ich hatte ihn erst viele Stunden später gefunden. Die Comics aus der Zeitung, in die er eingewickelt gewesen war, und das mit der Hand beschriftete Etikett hatte ich aufbewahrt – das Einzige von Sammy, was ich noch hatte.
    Tens ertappte mich dabei, dass ich ihn musterte, und lächelte. »Hast du etwas gesehen, das dir gefällt?« Er hattesich schon wieder so weit
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