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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Autoren: Simone de Beauvoir
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das mich einmal auf die Dimensionen eines Embryos reduziert und ein andermal in eine dickliche Matrone verwandelt hatte.
    Ich fuhr fort zu wachsen und wusste mich zum Exil verdammt; daraufhin suchte ich Hilfe bei meinem eigenen Bild. Morgens wickelte Louise mein Haar um einen Stock, und ich betrachtete mit einem Gefühl der Befriedigung mein von Korkzieherlocken umgebenes Gesicht. Brünette mit blauen Augen, hatte man mir gesagt, sind nichts Alltägliches, und ich hatte schon gelernt, alles Seltene auch für kostbar zu halten. Ich gefiel mir selbst und suchte zu gefallen. Die Freunde meiner Eltern bestärkten mich in meiner Eitelkeit: Sie schmeichelten mir auf höfliche Art, sie verwöhnten mich. Ich schmiegte mich gern an Pelze, an seidene Frauenmieder; Männer imponierten mir jedoch mehr mit ihren Schnurrbärten, ihrem Tabaksgeruch, ihren tiefen Stimmen, ihren Armen, die mich vom Boden hochhoben. Ich legte besonderen Wert darauf, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln: Ich führte mich albern auf, rutschte unruhig hin und her und lauerte förmlich auf ein Wort, das mich meinem Limbus entreißen und mir endgültig in ihrer Welt Existenz verschaffen würde. Eines Abends wies ich in Gegenwart eines Freundes meines Vaters eigensinnig einen Teller mit Kochsalat zurück; auf einer Karte, die er aus den Ferien schrieb, erkundigte er sich scherzhaft: ‹Schwärmt Simone noch immer so sehr für Kochsalat?› Schriftlich Niedergelegtes genoss in meinen Augen durchaus noch einen Vorrang vor dem gesprochenen Wort: Ich war außer mir vor Stolz. Als wir Herrn Dardelle auf dem Platz vor Notre-Dame-des-Champs wieder begegneten, rechnete ich auf kleine Neckereien, über die ich entzückt gewesen wäre. Ich versuchte, dergleichen zu provozieren, fand jedoch keinerlei Echo bei ihm. Ich ließ nicht locker: Man hieß mich schweigen. Unter Schmerzen machte ich die Entdeckung, dass Ruhm vergänglich ist.
    Enttäuschungen dieser Art blieben mir gewöhnlich erspart. Zu Hause rief der geringste Vorfall weitschweifige Kommentare hervor; meine Geschichten wurden gern angehört, meine komischen Ansprüche liebevoll weiterberichtet. Großeltern, Onkel, Tanten, Vettern, eine personenreiche Familie gewährleisteten meine Wichtigkeit. Im Übrigen blickte eine Fülle von übernatürlichen Wesen, um mein Wohl besorgt, auf mich herab.
    Sobald ich gehen konnte, hatte Mama mich in die Kirche mitgenommen; sie hatte mir, in Wachs, aus Gips geformt, an die Wände gemalt, die Bilder des Jesuskindes, des Herrgotts, der Jungfrau Maria, der Engel gezeigt, von denen einer sogar ganz ähnlich wie Louise speziell meinem Dienste zugeteilt war. An meinem Himmel standen sternengleich Myriaden wohlwollender Augen.
    Auf Erden gaben sich Mamas Mutter und Schwester recht aktiv mit mir ab. Großmama hatte rosige Wangen, weißes Haar und Ohrringe mit Diamanten; sie lutschte Gummibonbons, die hart und rund wie Schuhknöpfe waren und deren durchsichtige Farbtöne mich entzückten; ich hatte Großmama gern, weil sie alt war, und ich liebte Tante Lili wegen ihrer Jugend; sie lebte bei ihren Eltern, als sei sie noch ein Kind, wodurch sie mir näherstand als die andern Erwachsenen. Rotgesichtig, mit glattpoliertem Schädel und einem wie mit grauem, schmuddeligem Moos bewachsenen Kinn, ließ mich Großpapa gewissenhaft auf seiner Fußspitze reiten, doch seine Stimme war so kratzig, dass man niemals wusste, ob er Spaß machte oder schalt. Jeden Donnerstag aß ich bei den Großeltern zu Mittag; es gab gebratene Klopse oder Kalbsfrikassee, hinterher Pudding mit Fruchtsaft: Großmama verwöhnte mich. Nach dem Essen schlief Großpapa in einem Ohrenstuhl mit Gobelinbezug ein, und ich beschäftigte mich unter dem Tisch mit Spielen, die keinen Lärm verursachten. Wenn Großpapa fortgegangen war, holte Großmama aus dem Buffet den Metallkreisel hervor, auf den man, während er sich drehte, bunte Pappscheiben aufreihen musste; im Hinterteil eines Männchens aus Blei, den sie ‹Vater Kolik› nannte, zündete sie eine weiße Tablette an, aus der eine dünne braune Schlange hervorquoll. Sie spielte mit mir so manche Partie Domino, Schnippschnapp und Stäbchenspiel. Ich fand es immer ein wenig zum Ersticken in diesem Esszimmer, das mit Möbeln weit mehr vollgestopft war als die Hinterstube eines Antiquitätenhändlers; an den Wänden war keine Stelle mehr frei: Gobelins, Steingutteller, Bilder mit verräucherten Farben; in einem Haufen grüner Kohlköpfe lag ein toter Puter; die Tischchen waren
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