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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Autoren: Simone de Beauvoir
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Madame Mabille aussprechen. Zaza schüttelte den Kopf. Madame Mabille würde auf seine Gründe nicht eingehen; sie kannte sie bereits und sah sie nur als Ausflüchte an. Ihrer Meinung nach war Pradelle nicht entschlossen, Zaza zu heiraten; sonst hätte er in einen offiziellen Schritt eingewilligt; einer Mutter bricht nicht das Herz, weil ihr Sohn sich verlobt, diese Geschichte war nicht aufrechtzuerhalten! In diesem Punkte war ich ihrer Meinung; auf alle Fälle würde die Heirat nicht vor zwei Jahren stattfinden, der Fall von Madame Pradelle kam mir nicht tragisch vor. «Ich will nicht, dass sie meinetwegen leidet», hatte Zaza gesagt. Ihre Seelengröße brachte mich zur Verzweiflung. Sie begriff meinen Zorn, sie begriff Pradelles Bedenken, sie hatte Verständnis für die Skrupel von Madame Mabille; sie hatte Verständnis für alle Leute, die sich untereinander nicht verstanden und deren Missverständnisse sich auf sie auswirkten.
    «Ein Jahr ist doch nicht alle Welt», stellte Pradelle mit einer gewissen Gereiztheit fest. Weit davon entfernt, auf Zaza tröstlich zu wirken, stellte diese Lebensweisheit ihr Vertrauen auf eine schwere Probe; um ohne allzu große Beängstigung sich mit einer langen Trennung abfinden zu können, hätte sie jene Gewissheit besitzen müssen, auf die sie sich so oft in ihren Briefen berief, die ihr aber in Wirklichkeit auf schmerzliche Weise abging. Meine Voraussage bestätigte sich: Pradelle war nicht leicht zu lieben, besonders nicht für ein Herz, das so heftig wie das Zazas schlug. Mit einer Aufrichtigkeit, die an Narzissmus grenzte, beklagte er sich ihr gegenüber, es fehle ihm an Leidenschaft, sodass sie wohl oder übel daraus schließen musste, seine Liebe zu ihr sei etwas lau. Sein Verhalten wirkte nicht gerade beruhigend auf sie; er zeigte seiner Familie gegenüber abwegige Regungen des Zartgefühls und schien sich kaum etwas daraus zu machen, wenn sie darunter litt.
    Sie hatten sich nur erst kurz wiedergesehen; sie erwartete voller Ungeduld den Nachmittag, den sie zusammen verbringen wollten, als sie am Morgen einen Rohrpostbrief erhielt; er hatte einen Onkel verloren und hielt die Freude, die er sich von der Begegnung mit ihr versprach, für unvereinbar mit dieser Trauer; er sagte ab. Am folgenden Tage kam sie mit meiner Schwester ein Glas Wermut bei mir trinken; es gelang ihr nicht, sich ein Lächeln abzuringen. Am Abend schickte sie mir einen kleinen Brief: ‹Ich schreibe nicht, um mich zu entschuldigen, dass ich trotz des Wermuts und Ihres so tröstlichen Empfangs trübsinnig gewesen bin. Sie haben es sicher verstanden, ich war noch ganz erschüttert von dem Rohrpostbrief von gestern. Es hat sich sehr schlecht getroffen. Wenn Pradelle hätte erraten können, mit welchen Gefühlen ich auf diese Begegnung wartete, so hätte er, glaube ich, nicht abgesagt. Aber es ist nur gut, dass er es nicht wusste; ich finde sehr schön, was er getan hat, und es war mir ganz gut zu sehen, wie sehr mein Gefühl der Mutlosigkeit zunimmt, wenn ich absolut allein bin, um den bitteren Betrachtungen und düsteren Warnungen widerstehen zu müssen, die Mama mir zu geben sich verpflichtet fühlt. Das Traurigste ist, dass ich nicht mit ihm in Verbindung treten kann: Ich habe nicht gewagt, ihm eine Nachricht in seine Wohnung zu schicken. Wären Sie allein gewesen, so hätte ich ihm ein paar Zeilen geschrieben und Sie gebeten, mit Ihrer unleserlichen Handschrift die Adresse auf den Umschlag zu schreiben. Sie wären sehr lieb, wenn Sie ihm gleich einen Rohrpostbrief schicken würden, um ihm zu sagen, was er hoffentlich auch so schon weiß: dass ich ganz nahe bei ihm bin im Leid wie in der Freude, vor allem aber, dass er mir nach Hause schreiben kann, sooft er will. Er würde sehr gut tun, es nicht zu unterlassen, denn wenn ich ihn nicht sehr bald wiedersehen kann, tut mir umso mehr ein Wort von ihm schrecklich not. Im Übrigen braucht er sich im Augenblick vor meiner Heiterkeit nicht zu fürchten. Wenn ich selbst von uns mit ihm spräche, so würde es in hinreichend ernstem Ton geschehen. Selbst wenn ich mich durch seine Gegenwart erleichtert fühlen könnte, bleibt im Leben doch immer noch genügend Trauriges, wovon man sprechen kann, auch wenn man sowieso schon Trauer hat. Und wäre es nur von
Poussière
. Ich habe dies Buch gestern Abend wieder hervorgeholt, und ich fühle mich davon nicht weniger ergriffen als zu Anfang der Ferien. Ja, Judy ist großartig und liebenswert; sie bleibt dennoch
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