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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Autoren: Simone de Beauvoir
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er seither, ohne zu übertreiben, mit Recht als ‚etwas wild‘ bezeichnet hat. Der Ihre hat mich dem Leben zurückgeschenkt … Ich bin im Stillen mit Ihnen zusammengeblieben, seitdem ich Ihren Brief gelesen hatte, und habe mich gleichsam mit Ihnen in jenen anderen vertieft, den ich am Samstag von Pradelle erhielt, der meine Freude vervollständigte und sie so leicht, so jung machte, als sei sie seit drei Tagen um die Fröhlichkeit eines Kindes von acht Jahren vermehrt. Ich fürchtete schon, mein ungerechter Brief könne von neuem den Horizont verdüstert haben; er aber hat so klug darauf reagiert, dass alles im Gegenteil leicht und wunderbar geworden ist. Ich glaube, niemand kann fabelhafter als er Leute ausschelten, ihnen den Prozess machen, sie freisprechen, ihnen mit mehr Heiterkeit und Nettigkeit klarmachen, wie einfach und schön alles ist und dass man nur daran glauben muss.›
    Bald aber tauchten andere, erschreckendere Schwierigkeiten auf. Ende August bekam ich einen Brief, der mich tief betrübte. ‹Sie dürfen mir nicht böse sein wegen meines langen Schweigens … Sie wissen ja, wie das Leben in Laubardon ist. Ich musste viele Leute besuchen und für fünf Tage nach Lourdes gehen. Wir sind von dort am Sonntag zurückgekommen, und morgen steigen Bébelle und ich wieder in den Zug, um uns zu den Brévilles ins Ariège zu begeben. Ich würde gern, wie Sie sich denken können, auf alle diese Zerstreuungen verzichten; es ist tödlich langweilig, sich amüsieren zu müssen, wenn man nicht die allergeringste Lust dazu verspürt. Ich habe ein umso größeres Verlangen nach Ruhe, als das Leben, wenn auch weiterhin wunderbar, so doch wahrscheinlich für eine Zeitlang recht schwierig zu sein verspricht. Bedenken, die schließlich meine Freude vergifteten, haben mich bewogen, mich Mama zu eröffnen, unter deren fragender, besorgter und sogar argwöhnischer Haltung ich nachgerade allzu sehr litt. Nun aber ist, da ich ihr nur die halbe Wahrheit sagen konnte, das Resultat dieser Aussprache, dass ich an Pradelle nicht mehr schreiben und ihn – mindestens einstweilen, so verlangt es Mama – auch nicht wiedersehen darf. Es ist hart, es ist grausam für mich. Wenn ich daran denke, was mir diese Briefe bedeuteten, auf die ich jetzt verzichten muss, wenn ich mir dies lange Jahr vorstelle, von dem ich so viel erwartete und dem nun diese Begegnungen fehlen sollen, die so wundervoll für mich gewesen wären, verspüre ich einen würgenden Kummer, der mir den Atem benimmt, und mein Herz verkrampft sich so sehr, dass es mir wehe tut. Wir müssen vollkommen getrennt voneinander leben – wie grauenhaft! Ich ergebe mich für meine Person darein, aber für ihn leide ich umso schwerer darunter; ich selbst bin an Leiden so sehr gewöhnt, dass es mir fast das Natürliche scheint. Aber dass ich es für ihn hinnehmen soll, der es so gar nicht verdient hat, für ihn, den ich mir so vor Glück förmlich aufgeblüht vorstelle, wie ich ihn an dem Tage sah, als wir beide mit ihm auf dem See des Bois de Boulogne waren – ach! Wie bitter das alles ist! Dennoch schäme ich mich, dass ich mich beklage. Wenn einem etwas so Großes zuteilgeworden ist, wie ich es unwandelbar in mir verspüre, kann man das Übrige alles leicht ertragen. Das Wesentliche meiner Freude hängt nicht von äußeren Umständen ab, es könnte einzig durch eine Schwierigkeit berührt werden, die unmittelbar von ihm oder von mir ausgeht. Das aber ist nicht mehr zu fürchten, die tiefe Einigkeit zwischen uns beiden ist so vollkommen, dass er noch immer spricht, wenn er mir zuhört, und ich die Sprechende bin, wenn ich ihn reden höre; trotz der scheinbaren Trennung können wir nicht mehr wirklich auseinandergebracht werden. Meine Beschwingtheit wird denn auch aller quälender Gedanken Herr, steigt hoch empor und verbreitet sich tröstend über alle Dinge … Gestern, nachdem ich an Pradelle den Brief geschrieben hatte, der mir so schwerfiel, bekam ich von ihm ein paar Zeilen, die überströmten von jener schönen Liebe zum Leben, die ich bislang bei ihm weniger verspürt hatte als bei Ihnen. Nur war es bei ihm nicht ganz der heidnische Cantus der geliebten ‚amoralischen Dame‘. Aus Anlass der Verlobung seiner Schwester sagte er mir, was alles das Wort ‚Coeli enarrant gloriam Dei‘ an Begeisterung für die ‚schimmernde Glorie des Alls‘ und für ein ‚mit der Süße der irdischen Dinge versöhntes Leben‘ in ihm aufblühen lasse. Ach! dass ich ohne Not
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