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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Autoren: Simone de Beauvoir
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vorher war und was ich jetzt bin, was mir fehlte und was er mir in so bewundernswerter Fülle gegeben hat, oh, versuchen Sie, ihm ein wenig begreiflich zu machen, dass ich ihm alle Schönheit verdanke, von der mein Leben in diesem Augenblick überquillt, dass nichts in ihm ist, was nicht für mich kostbar wäre, und dass es Wahnsinn von seiner Seite ist, sich wegen irgendetwas, was er sagt, oder wegen der Briefe, deren Schönheit und tiefe Zärtlichkeit ich jedes Mal besser verstehe, wenn ich sie wiederlese, zu entschuldigen. Sagen Sie ihm, Simone, Sie, die Sie mich ganz und gar kennen und die Sie in diesem Jahr von jeder meiner Herzensregungen Kunde hatten, dass es kein Wesen auf der Welt gibt, das mir jenes ungemischte Glück, jene vollkommene Freude gegeben hat oder mir jemals geben könnte, die ich ihm verdanke und deren ich mich immer nur, selbst wenn ich es nicht mehr zu ihm sage, unwürdig fühlen kann.
    Simone, wenn der Schritt, von dem Sie sprechen, getan werden könnte, würde in diesem Winter alles einfacher sein. Pradelle hat dafür, dass er ihn nicht unternimmt, Gründe, die in meinen Augen ebenso gewichtig sind, wie sie ihm erscheinen. Für diesen Fall hat Mama mir, ohne von mir einen völligen Bruch zu verlangen, so viele Schwierigkeiten und Beschränkungen unserer Beziehung angekündigt, dass ich aus Grauen vor einem immer erneuten Kampf das Schlimmere vorgezogen habe. Seine Antwort auf den traurigen Brief, den ich ihm habe schreiben müssen, hat mir allzu fühlbar gemacht, wie groß für ihn dieses Opfer sein würde. Ich habe den Mut nicht mehr, es mir zu wünschen. Ich will versuchen, die Dinge ein wenig in Ordnung zu bringen und durch Gefügigkeit und Geduld zu erlangen, dass Mama uns etwas mehr Vertrauen schenkt und von der Idee abgeht, mich ins Ausland zu schicken. Alles das, Simone, ist nicht einfach, alles das ist hart, und ich bin deswegen für ihn sehr betrübt. Zweimal hat er zu mir von Fatalismus gesprochen. Ich verstehe, was er mir auf diesem Umweg zu verstehen geben will, und werde um seinetwillen alles tun, was in meiner Macht steht, um unsere Situation zu bessern. Soweit es aber nötig ist, werde ich mit glühender Bereitschaft leiden, denn ich finde eine gewisse Freude darin, um seinetwillen zu leiden, und bin vor allem der Meinung, dass ich mit keinem Preis je das Glück zu teuer bezahlen werde, in das ich schon eingegangen bin, die Freude, gegen die irgendein Zufall von außen nun nichts mehr vermag … Ich bin hier halb tot vor Verlangen nach Alleinsein angekommen, habe aber außer meinem Schwager fünf seiner Brüder und Schwestern vorgefunden; ich teile mit der ältesten und den Zwillingen das Zimmer, in dem ich es mit Ihnen und Stépha damals so schön gehabt habe. Ich habe Ihnen diese Zeilen in weniger als dreiviertel Stunden geschrieben, bevor ich meine Familie in den Ort zum Markt begleiten muss; morgen verbringen Du Moulins den ganzen Tag bei uns, übermorgen trifft Geneviève de Bréville ein, und außerdem müssen wir zu den Mulots zum Tanzen. Aber ich bleibe innerlich frei, ohne dass irgendjemand etwas ahnt. Alle diese Dinge sind für mich, als gäbe es sie nicht. Mein Leben besteht darin, mit einem ganz leisen Lächeln auf eine Stimme zu lauschen, die ich unablässig in mir höre, und mich mit ihm für alle Zeit vor allem andern zu flüchten …›
    Ich verspürte in mir eine Regung der Gereiztheit gegen Pradelle: Weshalb lehnte er die Lösung ab, die ich vorgeschlagen hatte? Ich schrieb ihm. Seine Schwester, antwortete er mir, habe sich gerade verlobt; sein älterer Bruder – der seit langem verheiratet war, er sprach niemals von ihm – war im Begriff, nach Togo zu gehen; wenn auch er jetzt seiner Mutter ankündigte, er wolle sie verlassen, so würde das ein vielleicht verhängnisvoller Schlag für sie sein. Und Zaza?, fragte ich ihn, als er Ende September nach Paris zurückkehrte. War er sich nicht darüber klar, dass sie sich in diesen Kämpfen aufrieb? Er erwiderte, sie billige seine Haltung; ich mochte noch so erregt auf ihn einreden, er ging von seinem Standpunkt nicht ab.
    Zaza kam mir sehr niedergeschlagen vor; sie war mager geworden und hatte ihre Farbe verloren; oft wurde sie von Kopfweh geplagt. Madame Mabille gestattete ihr auf Widerruf, Pradelle zu sehen, aber im Dezember sollte sie nach Berlin gehen und dort ein Jahr bleiben: Mit Schrecken dachte sie an dieses Exil. Ich machte einen neuen Vorschlag: Pradelle solle sich ohne Wissen seiner Mutter mit
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