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Melodie des Südens

Melodie des Südens

Titel: Melodie des Südens
Autoren: Gretchen Craig
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seinen Elixieren und Pulvern herumkroch. Yves war als Junge von fünfzehn Jahren das letzte Mal hier gewesen. Damals hatten sie mit ein paar Freunden Laudanum gekauft und in Marcels Zimmer damit experimentiert. Sie hatten jeden Tropfen des üblen Gebräus getrunken, und danach hatten sie zwei Tage lang geschlafen. Der Anblick des tränenüberströmten Gesichts seiner Maman, als er endlich wieder erwachte, hatte ihn davon abgehalten, seine Bekanntschaft mit einer Mischung aus Alkohol und Opium jemals zu erneuern.
    Als er den düsteren, muffigen kleinen Raum betrat, ging eine Türglocke. Er beriet sich mit Monsieur Antoine, erklärte ihm genau, was er brauchte, und verließ die Apotheke mit einer kobaltblauen Viole in der Tasche.
    In seinem Zimmer angekommen, holte er seinen Degenkasten aus der hintersten Ecke des Kleiderschranks. Seit mehr als einem Jahr war das Ding dort vergraben, obwohl er zu Zeiten, als er noch auf dem Weg gewesen war, ein Mann zu werden, eifrig gefochten und sogar einen hoch geschätzten Waffenmeister als Lehrer beschäftigt hatte. Inzwischen war er vollkommen aus der Übung, aber er galt immer noch als brauchbarer Fechter.
    Papa, der von den kommenden Ereignissen keine Ahnung hatte, war ausgegangen. Yves aß mit Marcel in dessen Zimmer zu Abend. Marcel hatte Yves’ nachmittägliche Abwesenheit genutzt, um seine Geliebte Lucinda und den kleinen gemeinsamen Sohn zu besuchen, dann war er nach Hause zurückgekehrt, um seine Abschiedsbriefe zu schreiben, nur für den Fall der Fälle.
    Nun standen die fünf Umschläge auf dem Kaminsims: für Nicolette, Gabriel, Cleo, Papa und Yves. Sie erinnerten schweigend daran, dass dies ein ungewöhnlicher Abend war. Und so unterhielten sich die Brüder über dies und das, nur nicht über die wirklich wichtigen Dinge.
    Um zehn Uhr sagte Yves: »Ich glaube, ich würde gern noch ein Glas Portwein trinken. Willst du auch eins? Vielleicht kannst du dann besser schlafen.«
    Marcel zuckte mit den Schultern.
    Yves schenkte ihnen beiden aus der Karaffe auf dem Beistelltisch ein, wobei er Marcel den Rücken kehrte. Der achtete aber ohnehin nicht auf das, was in seiner Nähe geschah, und so gelangte der Inhalt der kleinen blauen Viole ungehindert in Marcels Glas.
    Er reichte seinem Bruder das Glas. Sie nippten daran. »Ich glaube, der schmeckt mir heute nicht«, bemerkte Marcel.
    Yves räusperte sich und nahm einen demonstrativen Schluck. »Du hast recht, der Nachgeschmack ist komisch«, sagte er. »Aber probier noch mal, ich denke, er ist ganz in Ordnung.«
    Gleichgültig trank Marcel sein Glas aus und gähnte. Um sechs Uhr würde er aufstehen müssen, um Adam im Morgengrauen zu treffen. Er wollte ins Bett.
    Yves stellte sein Glas ab. »Schlaf gut«, sagte er und schloss die Tür hinter sich.

30
    Die Wintersonne war noch kaum über die Baumwipfel gestiegen, als Yves am verabredeten Treffpunkt ankam. Adam, Roland Bonheur und der Arzt warteten am Rand der offenen Wiese.
    Yves band sein Pferd an einen niedrig hängenden Ast und nahm sein Degenfutteral vom Sattel. Auf dem Weg durch das taufeuchte Gras atmete er den frischen Duft des Morgens und das vollmundige Aroma von Kaffee ein. Die anderen wärmten sich an einem kleinen Feuer, und ein Diener schenkte die Tassen ein.
    »Guten Morgen, die Herren«, sagte Yves.
    »Sie sind allein?«, bemerkte Roland. »Wo ist Marcel?«
    »Er ist indisponiert und wird das Bett heute nicht verlassen. Ich bin jedoch an Stelle meines Bruders gekommen. Mr Johnston, ich nehme doch an, dass Sie auch mit mir vorlieb nehmen würden, um ihre Schuld zu begleichen?«
    Adams blutunterlaufene Augen zeigten Yves, dass sein Gegner mehr als eine schlaflose Nacht hinter sich hatte. Erinnerte er sich überhaupt noch, warum all das stattfand? Sah er Nicolettes zerschlagenes, blutüberströmtes Gesicht in seinen Träumen vor sich?
    »Selbstverständlich, ich akzeptiere Sie als Stellvertreter.«
    Ihm war vermutlich nicht klar, dass er auf diese Weise seinen Kopf rettete.
    »Kaffee?«, fragte Roland.
    Yves nahm eine Tasse und beobachtete Adam aus dem Augenwinkel. Mariannes Bruder hatte immerhin seinen Mut wiedergefunden. Gut für ihn. Aber er hatte für das, was er Nicolette angetan hatte, noch nicht bezahlt.
    Adam zog ein Stück Papier aus der Tasche und hielt es Yves zögernd hin. »Würden Sie diesen Brief überbringen?«
    Yves erstarrte, als er Nicolettes Namen auf dem cremefarbenen Umschlag sah. Seine Stimme wurde eisig. »Wollen Sie sie schon wieder
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