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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Rose Tremain
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Verbannung zu erreichen, weil ich die Gemahlin des Königs bin (wenn ich auch nicht den Titel einer Königin von Dänemark habe) und er mich noch immer abgöttisch liebt.
    Das läßt mich kühne Überlegungen anstellen. Ich frage mich, was ich mir erlauben kann – wie weit ich es mit meiner Lasterhaftigkeit treiben kann –, ohne meinen Verbleib hier in Kopenhagen und in den Palästen sowie meine ganzen Privilegien aufs Spiel zu setzen. Ich spekuliere darüber, was meine Vertreibung zur Folge haben würde, und komme zu dem Schluß, daß wahrscheinlich nichts, was ich tun oder sagen könnte, dazu führen würde.
    Daher gehe ich noch einen Schritt weiter und frage mich, ob ich nicht die Heimlichtuerei und Verstohlenheit bei meiner Liebesaffäre mit dem Grafen Otto Ludwig von Salm beenden und aus meiner Leidenschaft für ihn kein Hehl mehr machen sollte, so daß ich mit ihm schlafen könnte, wann und wo es mir beliebt. Denn warum sollte ich, der der Titel einer Königin nie zuerkannt wurde, nicht einen Liebhaber haben? Und außerdem finde ich, daß ich dem König, meinen Frauen und selbst meinen Kindern gegenüber viel freundlicher bin, wenn ich ein paar Stunden mit meinem wunderbaren deutschen Mann verbracht habe und er mir das gegeben hat, was ich so dringend brauche und ohne das ich wirklich nicht leben kann. Doch diese Freundlichkeit hält immer nur ein paar Stunden, höchstens einen einzigen Tag an, und dann werde ich wieder unleidlich. Daraus folgt, daß ich, wenn ich den Grafen jeden Tag oder jede Nacht sehen und mit ihm etwas Spaß haben könnte, immer und ewig freundlich und liebenswürdig gegenüber jedermann wäre, so daß unser aller Leben viel besser wäre.
    Doch kann ich es wagen, meine Liebe zu Otto einzugestehen? Leider wohl nicht, wenn ich so darüber nachdenke. Er war ein tapferer Söldner, der in den jüngsten Kriegen an der Seite meines Gemahls gegen die Katholische Liga gekämpft und sein Leben für die dänische Sache aufs Spiel gesetzt hat. Er ist ein Held und wird vom König sehr geschätzt. Einem solchen Mann sollte man geben, worum er bittet und was er sich wünscht. Ich glaube aber, daß Männer einander nur Besitztümer abtreten, deren sie überdrüssig sind und die sie nicht wirklich lieben. Wenn man sie um etwas bittet, worauf sie großen Wert legen, dann weigern sie sich und geraten sofort in Zorn. Und genau das wäre der Fall, wenn ich jetzt vorschlagen würde, meinem Liebhaber Zugang zu meinem Bett zu gewähren. Daraus schließe ich, daß das, was meine kühnen Gedanken darüber, worum ich bitten könnte, erweckt hat – nämlich die Liebe des Königs zu mir –, mich gleichzeitig daran hindert, es auch zu tun.
    Daher bleibt nur ein Weg. Ich muß es so einrichten, daß König Christian mir gegenüber nach und nach in einen Zustand der Gleichgültigkeit verfällt – von Tag zu Tag und Grausamkeit zu Grausamkeit mehr. Ich muß es so bewerkstelligen, daß mein Gemahl spätestens in einem Jahr von mir weder von Rechts wegen noch seiner Neigung nach irgend etwas Mäuschenhaftes erhofft oder erwartet, und zwar solange wir beide leben.

DAS GESCHLOSSENE FENSTER
    Dänemark ist ein nasses Königreich. Die Menschen bilden sich ein, das Land sei an den Schiffen der großen Marine befestigt. Sie stellen sich vor, die Felder und Wälder würden von zehn Meilen langen Trossen über Wasser gehalten.
    Und die Meeresbrise trägt noch immer eine alte Geschichte durch die salzige Luft: die von der Geburt König Christians IV . auf einer Insel mitten auf dem See von Schloß Frederiksborg.
    Es heißt, König Frederik befand sich auf Elsinore. Es heißt ferner, Königin Sofie habe sich, als sie noch jung war und es sich noch nicht zur Gewohnheit gemacht hatte, zu schelten, zu fluchen und Geld anzuhäufen, oft in einem kleinen Boot zu dieser Insel rudern lassen, um dort in der Sonne zu sitzen und heimlich ihrer Strickleidenschaft zu frönen. Stricken war im ganzen Land verboten, weil man glaubte, es würde die Frauen in einen Zustand untätiger Trance versetzen, in dem ihre eigentlichen Gedanken davonflogen und der Phantasie Platz machten. Die Männer sprachen von »Wollträumereien«. Daß aus der Wolle nützliche kleine Bekleidungsstücke wie Strümpfe und Nachthauben entstanden, ließ ihre abergläubische Angst vor dem Strickwahn nicht geringer werden. Sie glaubten, jede gestrickte Nachthaube enthalte zwischen den Millionen Maschen die Sehnsüchte ihrer Frauen, die sie niemals befriedigen könnten und die
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