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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Rose Tremain
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geheiratet hat und nach Deutschland gegangen ist. Vielleicht ist sie inzwischen schon eine kleine Mutter! Sie hatte mal ein Huhn als Haustier, wißt Ihr!«
    Er antwortet, er wisse dies nur allzugut und werde den Anblick der in ihrem Zimmer nistenden Gerda nie vergessen. Er würde gern zu Kirsten sagen: Warum habt Ihr meine Briefe vor ihr versteckt? Wie konntet Ihr nur so boshaft sein, die unschuldige Emilia in Eure Bestechungspläne einzubeziehen? Wißt Ihr nicht, wie selten Liebe ist, daß Ihr so darauf herumtrampeln konntet? Doch er schweigt. Kirsten gewährt ihm bei seiner augenblicklichen Schwäche Schutz, und es wäre jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, in die Kälte hinausgeworfen zu werden.
    Ein Arzt hat dem Lautenisten die Nackenwunde verbunden und ist mit seiner Nase ganz nah an sein Ohr herangegangen, das ihn jetzt fast ständig schmerzt und auf dem er fast gar nichts mehr hören kann. Der Doktor meint zu Peter Claire, er rieche etwas, was ihm gar nicht gefalle. »Sagt mir, was es ist!« verlangt Peter Claire, doch der Arzt antwortet, er wisse es nicht, werde jedoch versuchen, »es herauszuspülen, Sir, es einfach herauszuspülen«.
    Der Arzt gießt heißes Nelkenöl ins Ohr. Es blubbert wie in einem Wasserkessel im Kopf des Lautenspielers, und er schreit auf, als es dunkel um ihn herum wird. Dann beruhigt es sich im Kessel zu einem erträglichen Simmern, und der Arzt sticht mit einem Schilfrohr ins Ohr und macht, als er dieses wieder herauszieht, eine Bemerkung über einen Eiterklumpen an dessen Ende. »Ihr habt eine üble Infektion, Sir!« sagt er triumphierend. »Dem Anschein nach eine sehr aggressive. Ich werde meine Bücher konsultieren, um herauszufinden, wie ich sie zum Aufgeben bewegen kann.«

    Der Verlust des königlichen Knopfbeutels beginnt Peter Claire allmählich zu quälen. Es kommt ihm schrecklich vor, so lange an König Christians Seite gewesen zu sein und nun keinen einzigen Besitz zu haben, der ihn an diesen erinnert. Schon während der Reise auf der Sankt Nicolai hatte er immer wieder die Hand in den Beutel gesteckt und die Knöpfe durch die Finger gleiten lassen. Er empfand dies als seltsam tröstlich und lächelte vor Vergnügen, wenn er spürte, wie sich Wertvolles und Wertloses ineinander verloren und zu etwas Neuem wurden, dem man keinen Preis geben konnte. Er hatte beschlossen, nie ohne den Beutel zu reisen und sich von diesem Geschenk immer an den König erinnern zu lassen, der in ihm fälschlich einen Engel gesehen hatte und (trotz aller Rückschläge und Katastrophen) stets danach gestrebt hatte, zu begreifen, in welcher Währung das menschliche Glück im Umlauf war.
    Er denkt an die Sterne über dem Numedal, an die bis zum Tagesanbruch im Schlafgemach des Königs gespielten Lieder, die Konzerte im Sommerhaus, die nicht zu Ende erzählten Geschichten über Bror Brorson, das unmäßige Trinken und Feiern, das Silberwiegen, die Gespräche über Descartes’ cogito , die Macht des Meeres, über Betrug und die Hartnäckigkeit der Hoffnung.
    Ihm wird nun klar, daß es in seiner Zukunft, ganz gleich, was diese für ihn bereithält, nichts geben wird, was in irgendeiner Weise mit seiner Zeit beim König von Dänemark vergleichbar ist. Er überlegt, daß er, wenn es Emilia nicht gäbe, Kirsten bitten würde, ihn nach Kopenhagen zurückzuschicken, um dort zu versuchen, Seine Majestät zu überreden, einen anderen Musiker für das versprochene Geld an den englischen Hof zu entsenden. Würde man dann eine Laute für ihn auftreiben, ginge er freudig in den Keller hinunter, um dort in der Gewißheit zu spielen, daß der Mann, der oben zuhört, mit seinem traurigen Gesicht, seiner gestörten Verdauung und seinem brennenden Herzen, einer der wenigen auf Erden ist, der begriffen hat, wie wichtig Musik im menschlichen Leben ist.
    Er kann aber nicht zurückkehren. Während das Reißen in seinem Ohr anhält und sein Körper so heiß ist, daß er merkt, wie er dadurch dünn wie ein Schilfrohr wird, versucht er, einen Plan zu schmieden. Doch was für einen Plan kann ein Mann ohne Geld und Besitz schon machen? Ihm würde es an Überzeugungskraft fehlen. Sicher, es war möglich, daß einer der Bediensteten wußte, wo sich Emilia aufhielt, doch wie sollte er an diese Auskunft herankommen? Und wie sollte er ohne Mantel über dem Rücken und ohne Pferd kreuz und quer durch Jütland oder sogar nach Deutschland reisen?
    Schließlich fällt ihm sein Koffer ein. Der Kapitän der Sankt Nicolai hatte
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