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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels
Autoren: Barry Hughart
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wir
den Gang erreicht, durch den wir gekommen waren, aber dann mußten wir anhalten.
Das Beben hatte alles erfaßt. Manche Decken waren schwächer als andere. Der
Gang, der uns zu den Munteren Mönchen zurückgebracht hätte, war nach einem
Felsrutsch völlig blockiert.
    »Meister Li, dort drüben
höre ich Wasser !« rief Mondkind, »es klingt, als sei
es der Fluß!«
    Jetzt übernahm Mondkind die
Führung. Er suchte sich einen Weg durch zahllose Gänge in Richtung Wasser.
Schließlich hörten Meister Li und ich es auch. Wir taumelten durch eine Öffnung
zum Ufer des Schwarzen Flusses in der riesigen Haupthöhle. Mondkinds
Fackellicht tanzte über das Wasser und fiel auf die erste Statue, die wir
gesehen hatten: Yen-wang-yeh, der ehemalige Erste Herr der Hölle. Wir waren nur
wenige Schritte von der Treppe entfernt, die zur Prinzentrift und in die
Sicherheit hinaufführte. Meister Li sprang von meinem Rücken und lief in den
Gang zurück, aus dem wir gekommen waren. Er bat Mondkind, die Fackel zu heben,
und betrachtete die gewaltige Stützkonstruktion mit dem prüfenden Blick eines
Baumeisters. Er ging zum Hauptpfeiler in der Nähe der linken Höhlenwand. Er war
in der Mitte gerissen. »Ochse, schaffst du es, ihn durchzubrechen ?« »Er*ist alt und morsch, Meister«, antwortete ich.
»Möglicherweise wird er durchbrechen. Aber wenn nach dem Einbruch dort hinten
hier noch ein Gang einstürzt, wird dann nicht die ganze Konstruktion einer
ungeheuren Belastung ausgesetzt? Das verrückte Mädchen ist hier unten, und
vielleicht lebt der Prinz noch... « »Tu es !« befahl
Meister Li. »Ehrwürdiger Meister...«
    Ich hielt den Mund. Meister
Li funkelte mich an, und es stand Nummer Zehn dem Ochsen nicht zu, diesem
großen Mann zu widersprechen. Ich stemmte mich mit der Schulter gegen den
Pfeiler, aber ich hatte unterschätzt, wie morsch er war. Er brach sofort
entzwei, und ich wäre beinahe gefallen und hätte mich auf dem Stumpf
aufgespießt. Meister Li hüpfte auf meinen Rücken, Mondkind legte sich Klagende
Morgendämmerung wieder über die Schulter, und wir rannten los. Außer dem
Kreischen von splitterndem Holz und dem Gepolter stürzender Steine hörten wir
nichts, aber ich sah, wie Mondkind die Lippen bewegte und mit dem Finger in
panischer Angst nach oben deutete.
    Dicht vor uns öffnete sich
ein riesiger Spalt in der Decke, der sich quer durch die Höhle zog. Mit einem
ungeheuren Donnern stürzten Felsmassen herunter und blockierten alle Zugänge
zur Treppe. Der Fluß wogte auf, und eine hohe Welle schob sich gegen die Strömung.
Meister Li schlug mir auf die Schulter, wies mit dem Finger, und mir wurde
klar, daß unsere einzige Hoffnung darin bestand, die Treppe zu erreichen, die
zur Grabkammer hinaufführte. Mondkind war sehr stark. Er wäre lieber gestorben,
als Klagende Morgendämmerung hier unten zu lassen, und jetzt rannten wir
wirklich um unser Leben. Das Gesicht der Höhlendecke verzog sich immer wieder
zu einem breiten Grinsen. Es hagelte Steine, und der schwarze Fluß verschwand
unter weißer Gischt. Die Wände erbebten, der Boden bäumte sich auf wie ein
wildes Pferd, und aus den Seitengängen flogen Holzstücke und quollen
Staubwolken. Ich kletterte auf eine riesige ausgestreckte Hand, dann höher
hinauf und über den Torso des gestürzten japanischen Königs der Toten. Wir rannten
an gefallenen Statuen vorbei. Gilgamesch stand immer noch stolz auf seinem
Platz und hielt den Löwen nieder, aber Anubis war umgefallen. Das Kreischen und
ohrenbetäubende Knirschen schmerzte. Im Boden öffnete sich ein breiter Spalt,
Toth und Amenit stürzten hinein und verschwanden. Wir schafften es gerade noch,
an der riesigen Mumie von Osiris vorbeizukommen, ehe sie umfiel und in tausend
Stücke zersprang. In meinem Kopf und in meinem Herzen hörte ich eine geliebte
Stimme:
    »Schneller. . .
schneller... Da, der Rabe und der Fluß... « Der Rabe! Wir rannten keuchend daran
vorbei und stürmten in einen Seitengang. Die Treppe war noch heil. Die Wände
schienen sich zusammenzupressen, als wir die Stufen hinaufstürmten, und es war
keine Einbildung. Der Lärm war unbeschreiblich. Endlich erreichten wir den
Vorraum mit dem Mamorboden und den Türen. Die Statuen standen noch. Meister Li
griff nach dem Gefäß in den Händen der falkenköpfigen Gottheit. Der Türrahmen
begann, sich zu verbiegen. Die Tür quietschte protestierend, öffnete sich aber
weit genug, damit wir uns hindurchzwängen konnten. Im Gang hingen
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