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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten
Autoren: Jörg Berger
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besser, als zu Hause Trübsal zu blasen.» Es war für sie nicht leicht, zu begreifen,
     dass ich der Krankheit nur trotzen konnte, wenn ich weiter meinen eigenen Weg ging. Auf andere konnte das hart wirken – wie
     damals bei meiner Flucht.
    Auf dem Ball begegneten wir kurz nach unserem Eintreffen Hansi Müller, der jahrelang in der deutschen Fußballnationalmannschaft
     gespielt hatte. Nach der Begrüßung erzählte er uns, dass er fast nicht gekommen wäre, weil seine Frau Krebs hätte, schon wieder
     sei ein neuer Tumor gefunden worden. Ich sah, wie Chris immer blasser wurde. Zu Hansi sagte ich: «Komm, lass uns eine stille
     Ecke finden. Man hat auch bei mir gerade Krebs festgestellt.»
    Sosehr ich mir vorgenommen hatte, einfach nur zu feiern, so wenig sollte mir dies gelingen. Den Krebs konnte ich nicht ignorieren,
     ich musste mich ihm stellen.
    Am nächsten Morgen entdeckte ich im Hotelfrühstücksraum den Schauspieler Michael Lesch. Ich kannte ihn von einigen Veranstaltungen
     und wusste, dass er in den neunziger Jahren Lymphdrüsenkrebs hatte, der erfolgreich behandelt werden konnte.
    Ich fragte ihn, ob wir uns zu ihm setzen könnten. Michael nickte. Ohne große Umschweife berichtete ich ihm von meiner Diagnose,
     fragte ihn nach seinen Erfahrungen und ob er mir einen Arzt empfehlen könnte. Er nannte Professor Volker Diehl von der Kölner
     Uni-Klinik.
    |261| Am selben Abend rief ich Jörg Schmadtke an, den Manager von Alemannia Aachen. Ich erklärte ihm, dass ich ins Krankenhaus müsse,
     und bat ihn, deswegen am Montag im Tivoli-Stadion eine Pressekonferenz anzusetzen. Auf dieser berichtete ich dann auch von
     meiner Krankheit. Anschließend verabschiedete ich mich per Handschlag von jedem einzelnen Spieler, sagte, dass Frank Engel
     die Spielzeit als Coach weiterführen würde, und fügte am Ende noch hinzu: «Ich komme wieder.»
    In der Kölner Klinik wurden weitere Voruntersuchungen gemacht, eine Woche später sollte ich operiert werden. Dann war es so
     weit, ich packte meine Sporttasche. Als ich das Haus verließ, drehte ich mich noch einmal um. Wirst du das alles wiedersehen?,
     fragte ich mich. Dieser Augenblick erinnerte mich wiederum an meine Flucht aus der DDR.
    Im Krankenzimmer mit Blick auf den Kölner Dom stellte ich eine Fotografie von Chris und den jetzt dreizehnjährigen Zwillingen
     auf den Beistellschrank und legte ein Buch dazu: Lance Armstrongs
Tour des Lebens
. Der Radprofi hatte seinen Krebs besiegt – ich wollte ihm darin folgen. Früher musste ich Mannschaften retten, jetzt musste
     ich mich selbst retten. Ich wurde zu meinem eigenen Coach. Von Armstrong lernte ich, dass er sich nie, auch nicht in der aussichtslosesten
     Situation, aufgegeben hatte. Für ihn war das Fundament, um seinen Krebs zu besiegen, eine körperliche Stabilität. Und so nahm
     ich mir vor, nach dem Eingriff so schnell wie möglich wieder fit zu werden. Der einzige Unterschied zwischen mir und dem amerikanischen
     Radprofi: Er war und ist dreißig Jahre jünger als ich.
    Ein letzter Blick auf den Dom, bevor ich in den O P-Raum gerollt wurde. Obwohl ich nicht gläubig bin, sprach ich eine Art innerliches Gebet, wünschte mir, dass alles gut ausgehen
     möge. Als ich danach auf der Intensivstation aus meiner Narkose erwachte, sagte man mir, dass die Operation drei Stunden gedauert
     hätte, zirka dreißig Zentimeter meines Dickdarms hätte man entfernen |262| müssen. Der Krebs sei im Frühstadium gewesen, keine Metastasen, keine Chemotherapie, kein künstlicher Darmausgang – welch
     ein Glück!
    In der nächsten Zeit waren es vor allem meine Familie und mein Freund Martin Rinke, den ich «auf Schalke» kennengelernt hatte,
     die mir Mut zusprachen und immer für mich da waren. Schon nach einem guten Monat stand ich wieder – wie versprochen – mit
     meinen Spielern und Frank Engel auf dem Platz. Viele fragten mich, ob ich nach meiner Krebsdiagnose mein Leben verändert hätte.
     Meine Antwort darauf: «Nein, sonst hätte ich vorher etwas falsch gemacht.»
    Drei Jahre ging alles gut. Doch dann, im September 2005, wurde bei einer Nachuntersuchung festgestellt, dass ich zwei Metastasen
     in der Leber hatte. Wieso jetzt die Leber? Ich war völlig niedergeschmettert. Nach dieser langen Zeit ohne gesundheitliche
     Probleme hatte ich keinen Rückfall erwartet. Ich war in der Zwischenzeit als Trainer in den Osten gegangen, zu Hansa Rostock,
     hatte nach der Operation fürs Fernsehen gearbeitet. Wieder wurde ich
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