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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten
Autoren: Jörg Berger
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– typisch für mich – einfach darüber hinweggehen. |258| Und um als Trainer überhaupt auf dem Platz stehen zu können, schluckte ich Unmengen von Aspirin.
    Als ich am Dienstag, den 5.   November, abends nach Hause kam, bemerkte ich Blut im Stuhl. Diese Tatsache konnte ich nicht mehr ignorieren, und am kommenden
     Tag suchte ich in einer Trainingspause unseren Mannschaftsarzt auf. Als ich ihm von meiner Entdeckung berichtete, sagte er,
     dass er als Sportmediziner keine Diagnose wagen würde, mich stattdessen in die Aachener Uni-Klinik überweisen möchte, es gäbe
     dort einen Professor, der sich besser mit diesen Dingen auskenne. Noch am selben Tag hatte ich einen Termin.
    Bei den Untersuchungen in der Uni-Klinik wurden bei mir zwei Polypen im Darm festgestellt, von denen man jeweils eine Probe
     entnahm. Zum Abschluss sagte mir der Arzt, ich würde so schnell wie möglich eine Rückmeldung erhalten.
     
    Es klopfte an der Tür, es war Frank Engel. Ich hatte meinen früheren Kommilitonen von der DHfK und Freund als Co-Trainer an
     meine Seite geholt. Als ich ihn einmal fragte, wie er mich zu DD R-Zeiten eingeschätzt hatte, reagierte er wie viele meiner Freunde: «Niemals hätten wir dir zugetraut, dass du dieses Risiko eingehst,
     um in den Westen zu gehen. Aber du hast es schon immer geschafft, für dich Sonderregelungen in Anspruch zu nehmen, sonst wäre
     dir die Flucht auch niemals gelungen.» Ich antwortete in solchen Situationen: «Wenn man mir die Flucht zugetraut hätte, wäre
     sie gescheitert.»
    Jetzt schaute mich Frank ungeduldig an: «Wir müssen los.» Ich nickte nur. Als wir zum Auto gingen, reichte ich ihm die Schlüssel,
     nach dieser Diagnose wollte ich nicht hinter dem Steuer sitzen.
    Kurz vor dem Tivoli-Stadion konnte ich es nicht mehr aushalten: «Fahr mal an den Straßenrand.» Mein Co-Trainer schaute mich
     verwundert an, hielt aber sofort bei der nächsten Möglichkeit. |259| «Du bist der Erste, dem ich das sage», fuhr ich fort, als er den Motor ausgeschaltet hatte. «Es ist etwas passiert, das ich
     noch nicht richtig einordnen kann. Ich habe eben erfahren, dass ich Krebs habe. Behalte das aber für dich. Doch wenn ich beim
     Spiel nicht so bei der Sache bin, dann weißt du Bescheid.»
    Frank, ein sehr feinfühliger Mensch, war genauso geschockt wie ich. «Du kannst dir immer noch überlegen, ob du das Spiel machen
     willst.» Er versuchte mir eine Brücke zu bauen.
    «Das kommt nicht infrage», sagte ich ein wenig zu heftig. «Ich werde mich nicht zurückziehen.» Heute glaube ich, dass diese
     Entscheidung, stets nach vorne zu schauen, dazu beigetragen hat, dass ich noch immer lebe.
    Auf der Trainerbank, als das Spiel längst angepfiffen war, dachte ich unentwegt: Es ist mein Lebensinhalt, Coach zu sein,
     hoffentlich ist es nicht mein letztes Spiel. In der Halbzeit führten wir 2   :   0, am Ende gewannen wir mit 3   :   0.   Noch nie war mir ein Sieg so gleichgültig, ich wollte nur noch nach Hause zu meiner Frau, die bislang noch nichts von meiner
     Erkrankung wusste. Aber ich musste noch zahlreiche Interviews geben und riss mich zusammen, um mir nichts anmerken zu lassen.
    Zu Hause in Duisburg, stürzte alles in mir zusammen. Die Kinder schliefen schon, Chris und ich setzten uns in der Küche an
     den Esstisch, ich wiederholte ihr das, was mir der Arzt auf meine Mailbox gesprochen hatte. Meine Frau weinte, stellte sich
     vor, was das alles für die Zukunft bedeuten konnte. Nach einer Weile meinte ich zu ihr: «Es kann nicht sein, dass wir von
     diesem Tag an jeden Abend hier sitzen und reden und weinen. Wir müssen sehen, dass wir eine positive Einstellung gewinnen.
     Ich hab bislang noch nie an den Tod gedacht. Doch wenn er kommen sollte, dann haben wir vorher wenigstens eine schöne Zeit
     gehabt. Und die soll morgen erst einmal weitergehen, morgen fahren wir nach Frankfurt zum Sportpresseball.»
    «Das kann doch nicht dein Ernst sein», erwiderte Chris.
    |260| «Ich will mich unter Menschen aufhalten, mich nicht zurückziehen. So lange, wie es geht, möchte ich weiterleben wie bisher.»
     Nach einer kleinen Pause fügte ich hinzu: «Ich bin immer ein Kämpfer gewesen, das werde ich auch in diesem Fall sein.»
    Am nächsten Nachmittag zogen Chris und ich uns für den Sportpresseball um, der in der Alten Oper stattfinden sollte.
    «Es fällt mir schwer, dort hinzugehen», sagte Chris, die in der Nacht kaum geschlafen hatte.
    «Das lenkt ab», konterte ich. «Es ist
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