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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben
Autoren: James Herriot
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Tageslicht.
    Die Hälfte war schon mal geschafft. Ich erhob mich von dem Sack, auf dem ich kniete, und ging zu dem Eimer mit warmem Wasser hinüber; für das andere Bein würde ich die linke Hand brauchen, also seifte ich sie gründlich ein, während eines der Mutterschafe seine Lämmer um sich scharte, mich empört anfunkelte und zur Warnung einmal fest aufstampfte.
    Ich drehte mich um, kniete nieder, und während ich mich erneut vortastete, duckte sich ein winziges Lämmlein unter meinen Arm und begann, am Euter meiner Patientin zu saugen – mit großem Genuss, wenn man dem kleinen Schwanz, der wenige Zentimeter vor meinem Gesicht rotierte, glauben durfte.
    »Wo kommt denn dieses Kerlchen her?«, fragte ich und tastete weiter.
    Der Farmer lächelte. »Ach, das ist Herbert. Die Mutter von diesem armen Schlucker will ihn um keinen Preis. Hat ihn gleich beim Lammen verstoßen, dabei ist ihr anderes Lamm für sie das Größte.«
    »Dann füttern Sie ihn also?«
    »Nee, wollt ihn zu den andern Kleinen stecken, hab aber gesehen, dass er sich alleine durchschlägt. Hüpft von einem Mutterschaf zum nächsten und holt sich, was er kriegen kann. Hab sowas noch nie gesehen.«
    »Es ist erst eine Woche alt und hat schon seinen eigenen Kopf, was?«
    »So kann man’s sagen, Jim. Sein Bauch ist jeden Morgen prall, also denk ich mir, seine Ma lässt ihn nachts schon mal ran. Kann ihn ja nicht sehen im Dunkeln – muss sein Anblick sein, den sie nicht ertragen kann.«
    Ich betrachtete das kleine Geschöpf einen Moment lang und sah den gleichen x-beinigen Charme wie bei allen anderen. Schafe waren schon putzig.
    Bald hatte ich auch das andere Bein draußen, und nachdem dieses Hindernis beseitigt war, kam das Lamm mühelos zum Vorschein. Es war ein groteskes Bild, das sich dort auf dem Heu bot, dieser riesige Kopf und der im Vergleich dazu zwergenhafte Körper. Doch der Brustkorb hob und senkte sich vielversprechend, und ich wusste, dass der Kopf so schnell schrumpfen würde, wie er sich ausgedehnt hatte. Ich untersuchte meine Patientin ein letztes Mal, doch die Gebärmutter war leer.
    »Das war alles, Rob«, sagte ich.
    Der Farmer grummelte: »Jaja, dacht ich’s mir schon, bloß ein Großes. Das sind die Sorgenkinder.«
    Während ich mir die Arme abtrocknete, sah ich Herbert zu. Er hatte sich entfernt, als sich meine Patientin zu ihrem Lamm umgedreht hatte, um es abzulecken, und wanderte forschend zwischen den übrigen Mutterschafen umher. Einige vertrieben ihn gleich mit einem heftigen Kopfschütteln, doch schließlich gelang es ihm, sich einem großen, breiten Schaf zu nähern und den Kopf drunterzustecken. Sofort fuhr es herum und ließ das kleine Tier mit einem energischen Aufwärtsruck seines massiven Schädels hoch durch die Luft segeln, wobei die Beine wild durcheinander wirbelten. Herbert landete mit einem dumpfen Knall auf dem Rücken, und als ich zu ihm eilte, rappelte er sich bereits auf und trottete davon.
    »Dumme Zicke!«, rief der Farmer aus. Meinen besorgten Blick kommentierte er mit einem Schulterzucken. »Weiß schon, armer Schlucker, hat’s schon schwer, aber mir scheint, so will er’s lieber, als mit den andern Kleinen eingepfercht zu sein. Sehen Sie mal jetzt.«
    Unerschrocken näherte sich Herbert einem anderen Mutterschaf. Als es sich über den Futtertrog beugte, flitzte er zum Euter, und der Schwanz fing wieder an zu kreisen. Daran bestand jedenfalls kein Zweifel: Dieses Lamm hatte Mumm.
    »Rob«, fragte ich, während er meine zweite Patientin einfing, »warum haben Sie ihn Herbert genannt?«
    »Naja, so heißt mein Jüngster, und dies Lamm ist ganz genau wie er, so wie er den Kopf durchsetzt, so furchtlos eben.«
    Ich steckte meine Hand in das zweite Mutterschaf. Da war ein tolles Durcheinander von drei Lämmern; kleine Köpfe, Beine, ein Schwanz, alle auf dem schnellsten Weg nach draußen, wobei sie sich gegenseitig daran hinderten, auch nur einen Millimeter vorwärts zu kommen.
    »Sie war schon den ganzen Morgen so runter und am Jammern«, sagte Rob. »Ich wusste, dass da was nicht stimmt.«
    Mit einer behutsamen Hand begann ich das faszinierende Unterfangen, das Bündel zu entwirren. Dies war eine meiner liebsten Aufgaben. Ich sollte einen Kopf und zwei Beine zutage fördern, doch mussten sie auch zu ein und demselben Lamm gehören, sonst hatte ich ein Problem. Jedes Bein musste ich also zurückverfolgen, um zu sehen, ob es nach vorne oder nach hinten gehörte, ob es zur Schulter führte oder sich in
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