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Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Meine Schwiegermutter trinkt - Roman

Titel: Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Autoren: Diego de Silva
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und Besen greifen. Mal ehrlich, was soll das, frage ich mich, dieser Abgesang auf die bäuerliche Gesellschaft, dieser der monotonen Klausur moderner Hausfrauenarbeit entgegengesetzte Heidi-Kitsch für Erwachsene? Macht er das Fußboden-Schrubben angenehmer? Oder irgendwie nostalgisch?
    Weitere bei der Verrichtung von Haushaltstätigkeiten beliebte Schlager (allesamt aus den Siebzigern, höchstens noch frühen Achtzigerjahren) sind Che sarà in der Version der Ricchi e Poveri (zu erkennen an dem unverwechselbaren Giekser von Angela Brambati, der brünetten Sängerin), Se mi lasci non vale von Julio Iglesias und Maledetta primavera von Loretta Goggi – aber keiner konnte Montagne verdi je den Rang ablaufen (das Geheimnis eines solchen Dauerbrenners liegt meiner Meinung nach in dem Bild vom ›Häschen mit der schwarzen Nase‹, das kriegt man unmöglich wieder aus dem Kopf).
    Mein Gegenüber schwieg lange. Als er wieder das Wort ergriff, dachte ich immer noch über dieses unerklärliche musikalische Phänomen nach.
    »Nein, ich glaube … ich glaube, Sie haben das sogar sehr gut ausgedrückt«, sagte er stockend, und am Ende des Satzes versagte ihm die Stimme.
    Deshalb unterbrach ich meinen metaphysischen Ausflug auf den Spuren von Marcella Bella brüsk und richtete meinen Blick wieder auf ihn. Er wirkte aufgewühlt.
    »Hören Sie, es tut mir leid, ich wollte Sie nicht traurig machen«, entschuldigte ich mich.
    »Nein, nein, ganz im Gegenteil«, sagte er schnell, um mich zu beruhigen, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, »was Sie da gesagt haben, war sehr schön.«
    »Na, das freut mich, Herr …«
    »Sesti Orfeo. Ingenieur Romolo Sesti Orfeo.«
    Ich horchte auf, und unwillkürlich beschlich mich, frag mich nicht warum, ein komisches Gefühl. Dass ein Berufstätiger beim Vorstellen seinen Titel dazu sagt, ist alles in allem ja noch im Rahmen – wie er den Titel und seinen Nachnamen jedoch betonte (und: hörte sich der doppelte Nachname nicht irgendwie nach einem in Ungnade gefallenen Adligen an?), löste Unbehagen in mir aus. Als ob der Typ irgendwas vorhätte. Was er tatsächlich ja auch hatte.
    »Vittorio war sich auch ganz sicher, dass Sie beim Verhandeln um die Entschädigung nicht so hartnäckig gewesen wären, wenn Sie sich die Geschichte nicht zu Herzen genommen hätten«, fügte er zu meiner Verwirrung hinzu.
    Ich sah ihm lange in die Augen. Dieser komische Kauz verstand es wirklich, mir zu schmeicheln.
    »Wenn’s nach mir gegangen wäre, wäre ich in Berufung gegangen«, plusterte ich mich auf.
    Mein Gegenüber nickte beifällig und lächelte mich bewundernd an. Offenbar schätzte er Typen, die anderen zeigen, wo der Hammer hängt.
    Dabei bin ich gar keiner von der knallharten Sorte. War ich nie. Ehrlich gesagt habe ich vermutlich in meinem ganzen Leben noch keine Entscheidung getroffen, die den Namen verdient. Entscheidungen sind mir nicht besonders angenehm. Um entscheiden zu können, muss man überzeugt sein, und ich bin von fast gar nichts überzeugt. Ich bin eher der Was-gibt-es-für-Optionen-Typ , genau.
    Zum Beispiel habe ich noch nie eine Frau verlassen. Was nicht heißt, dass ich nicht schon passiv daran mitgewirkt hätte, dass eine Beziehung auf kleiner Flamme köchelte und irgendwann auseinanderging. In puncto unterlassener sentimentaler Hilfeleistung, wenn ich das Vergehen direkt beim Namen nennen soll, bin ich sogar wiederholt rückfällig geworden. Aber untätig bleiben, während eine Beziehung auf dem letzten Loch pfeift, ist nicht dasselbe wie zu sagen: ›Hör mal, ich will nicht mehr mit dir zusammensein, Punkt.‹
    Es ist nämlich so, dass ich auf keinen Fall die Verantwortung für den Verlust von etwas Wichtigem tragen will. Ich sehe auch gar nicht ein, weshalb ich das tun sollte. Wenn ich schon etwas Wichtiges verlieren soll, dann ziehe ich es ehrlich gesagt vor, dass jemand anderer schuld daran ist.
    Dasselbe gilt für mein, na ja, Berufsleben. Über Prinzipienfragen zerbreche ich mir nicht groß den Kopf. Denn eines ist klar: Wenn man sich an Prinzipienfragen festbeißen wollte, müsste man sich auf eine funktionierende Justiz verlassen können.
    Ich für meinen Teil versuche ja, meinen Mandanten – die ich, Hand aufs Herz, noch nie betuppt habe –, den Leidensweg eines Verfahrens, wo immer es geht, zu ersparen. Ich verabscheue Prozesse, die sich in die Länge ziehen, bis sie fast schon vergessen sind, Verfahren, die sieben, acht, zehn Jahre dauern. Mich deprimieren
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