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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde
Autoren: Andreas Salcher
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uns herzugeben, dass wir in der Erinnerung anderer in der Gesamtheit unserer Person weiterleben können? Das Begräbnis, der Sarg, die Traueranzeige werden schnell vergessen, was bleibt, sind die Gedanken an einen Menschen.
    Kommen wir jetzt dazu, worum es in Deiner letzten Stunde wirklich geht. Wenn wir allein sind mit der letzten Stunde oder wenn wir wissen, dass sie nahe ist, tun wir uns auf einmal wahnsinnig schwer, sie zu verdrängen. Die zehn Regeln für die letzte Stunde würden dieses ganze Buch ad absurdum führen, genauso wie eine Liste mit guten Vorsätzen. Davon hat jeder schon genug. Du kannst aber erreichen, dass Du nicht grenzenlos überrascht, erstaunt oder überfordert sein wirst. Die Überwindung der Angst vor dem Unbekannten liegt im Wissen darüber, wem wir bei der letzten Prüfung begegnen werden.
    Der einzige Feind, den wir in der letzten Stunde fürchten müssen, ist nicht der Tod, sondern die negative Haltung zu uns selbst. Im Leben werden wir ständig zwischen der Annäherung an uns und der Distanzierung von uns hin und her gerissen. Das Leiden oder das Hoffen in der letzten Stunde kommt aus dem Blick auf Dich selbst.
    Es ist ganz entscheidend zu wissen, dass die innere Stabilität der letzten Stunde nicht aus den äußeren Umständen herrührt, sondern aus sich selbst, aus dem, was man dort findet. Man kann nichts mehr dazufügen, aber alles, was war – die geliebten Menschen, die guten Werke, das aufrichtige Bemühen, die ehrlichen Absichten –, wird ganz klar sichtbar. Alles andere – Geld und Besitz, Ansehen und Aussehen, Einfluss und Status – löst sich auf und wird völlig bedeutungslos. Das Geheimnis der letzten Stunde ist die Begegnung mit uns selbst.
    Nackt und unbewaffnet. Die Leere. Es gibt nichts zum Festhalten. Nur Dich selbst. Unser ganzes Leben sehnen wir uns nach der Begegnung mit dieser Wirklichkeit und gleichzeitig haben wir Angst davor, von dieser Erfahrung überwältigt zu werden. Es geht jetzt nur darum, dieses Auf-Dich-Zurückgeworfensein zu ertragen. Wenn Du wirklich bist, macht es Dir nichts aus, dass es wehtut. Das Einzige, das Du hören kannst, ist Dein Herzschlag, der ein bisschen lauter schlägt als normal. Manche Menschen ertragen es nicht, wenn es so still ist, dass sie ihr eigenes Herz schlagen hören. Und jetzt kommt das Schwierigste: das Hinschauen.
    Bei diesem Hinschauen auf Dich selbst ist Genauigkeit gefordert – nicht Gnadenlosigkeit. In diesem Augenblick der größten Verletzbarkeit Deines gesamten Lebens solltest Du die Fähigkeit, sanft auf Dein Leben schauen zu können, zur höchsten Kunst entwickelt haben. Dein Leben hat nicht eine Dimension, sondern viele. Wenn Du in der Begegnung mit Dir selbst diese Dimensionen erkennen kannst, stelle Dir eine Frage:
    Kann ich bei dem, was ich sehe, aus tiefstem Herzen sagen: „Ja, das war mein Leben“?
    Das ganze Leben ist eine Vorbereitung darauf, im entscheidenden Augenblick dieses Ja sagen zu können. Dieses Ja zu sich selbst steht dem Atheisten, dem Tiefgläubigen, dem Hoffenden, dem Suchenden offen. Viele Wege führen zu diesem Ja .
    Die Annäherung an die letzte Stunde heißt, in diesen Raum hineinzugehen. Du wirst immer mit unterschiedlichen Gefühlen eintreten. Die letzte Stunde hat mit Vertrauen zu tun. Mit Vertrauen in Dich selbst, weil alle Tricks, die Du im Leben bis dahin angewendet hast, dann nicht funktionieren. Aber je öfter Du hineingehst, umso näher kommst Du nicht Deiner letzten Stunde, sondern umso näher kommst Du Dir selbst. Und je näher Du Dir selbst gekommen bist, umso leichter wirst Du Dir dann in der entscheidenden Begegnung mit Dir selbst tun. Deiner letzten Stunde wirst Du auf jeden Fall begegnen, ob als Freund oder als völlig Fremder. Wer sich ein Leben lang fremd war, wird sich auch in seiner letzten Stunde nicht mit sich selbst anfreunden können.
    Es liegt an Dir, ob Du Dir Deine letzte Stunde zum Freund machst. Dazu musst Du kein Meditationsmeister werden oder Dein Leben radikal umkrempeln. Manchmal eine Kerze anzuzünden, ist ausreichend. Ein Licht, das Dich daran erinnert, achtsam und nicht nachlässig mit Deinem Leben umzugehen.
    „Die letzte Stunde ist das Wichtigste. Sie entscheidet über unser ganzes bisheriges Leben.“ Ja, Du hast genau diese Sätze schon einmal gelesen, ganz am Anfang. Bei vielen lösen gerade diese beiden Sätze viel Widerstand aus. Die letzte Stunde sei für sie sogar das Unwichtigste, haben mir Freunde gesagt. Das wäre natürlich so, wenn
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