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Meine letzte Stunde

Meine letzte Stunde

Titel: Meine letzte Stunde
Autoren: Andreas Salcher
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Die Summe dieser vielen kleinen Unehrlichkeiten ergibt dann eine große Lüge. Beginnen wir gleich einmal mit der Lebenslüge. Unter Lebenslüge verstehen wir eine Unwahrheit, die jemand während seines Lebens wissentlich und absichtlich als Wahrheit bezeichnet und so behandelt, obwohl er das Gegenteil kennt oder kennen müsste. Die Ausrichtung des Lebens besteht dann im Wesentlichen in der Verteidigung dieser Lüge. Die Lebenslüge verbirgt sich hinter Sätzen wie „Ich konnte nicht anders, weil …“, „Ich bin total glücklich, so wie es gekommen ist“, „Ich habe alles erreicht, was ich mir vorgenommen habe“, „Wenn ich wirklich gewollt hätte, dann …“. Es muss aber gar nicht die Lebenslüge sein, es geht um das, wovor Du die meiste Angst hast, dass es entdeckt werden könnte. Was bleibt von Dir, wenn Du Deine Waffen ablegst? Oder wenn Dir das Wort Waffen nicht gefällt, mit welchen Tricks lenkst Du von Dir ab, wenn Du etwas verbergen möchtest?
    Das Interessante ist, dass wir die Lebenslüge anderer Menschen, besonders unserer Freunde und Partner, meist gut kennen. Wir wissen aber, dass es so ein heikler Bereich ist, dass wir ihn nie ansprechen, und wenn, nur im totalen Zorn, wenn wir den anderen wirklich schwer verletzen wollen – die Folgen können verheerend für diese Beziehung sein. Die Angst, das zu entdecken, was sich hinter der Lebenslüge verbirgt, ist riesig und umso größer ist der Aufwand, den viele Menschen ihr Leben lang betreiben, um in Ruhe mit ihrer Lebenslüge leben zu können. Doch seiner Lebenslüge in der letzten Stunde das erste Mal zu begegnen, wird keine schöne Erfahrung sein.
    Vielleicht hast Du schon einmal den Blick eines Menschen erlebt, bei dem Du das Gefühl hattest, dass er Dich durchdringen und Dein Innerstes sehen konnte. Das sind jene Situationen im Leben, wo man erst gar nicht versucht zu leugnen oder abzustreiten, weil man die Aussichtslosigkeit erkennt. Manche beginnen zu jammern, andere werden laut und aggressiv, und es gibt jene, die von einem schlimmen Schamgefühl erfasst werden und im Erdboden verschwinden möchten. Genau diesem Blick könntest Du in dem Raum begegnen. Vielleicht schauen wir uns einmal gemeinsam ein bisschen um, im Raum der letzten Stunde. In diesem Raum gibt es nicht nur viele Ecken, sondern auch viele Spiegel. In dem Buch kommen die vielen kleinen Todsünden und verpassten Gelegenheiten vor. Es ist gar nicht mehr notwendig, diese nochmals aufzuzählen, es ist jetzt aber der Augenblick gekommen, wo das Zurückblättern durchaus sinnvoll sein könnte.
    Nehmen wir etwas ganz Einfaches: das vergessene Danke. Wie großartig fühlen wir uns in jenem Augenblick, in dem wir uns vornehmen, jemandem, der etwas Besonderes für uns getan hat, ein kleines Geschenk zu machen oder einen Dankesbrief zu schreiben, und wie sehr dieser wundervolle Plan zu einer immer größeren Belastung wird, wenn wir ihn so lange aufschieben, bis es uns schon selbst peinlich ist, ihn zu verwirklichen. Aufgeschobene Angelegenheiten sind etwas, das uns in unseren Gedanken nie ganz loslässt und uns manchmal sogar den Frieden raubt. Meist betrifft es Dinge in Beziehungen, die nicht ausgesprochen wurden, oder Versäumnisse wie ein vergessenes Dankeschön. Es gibt aber auch das erhoffte Danke, auf das wir so unendlich lange gewartet haben, das aber nie gekommen ist. Wer sich unbedankt in die letzte Stunde begibt, weil er nie ein „Danke“ einfordern konnte, dem geht es genauso schlecht wie jenen, die nie Danke sagen konnten. Es geht um diese Dualität. Im Spiegel siehst Du immer Dich selbst. In der letzten Stunde kannst Du Dein Gesicht nicht verlieren, aber auch nicht verstecken, weil es einfach da ist. Wenn Du gelernt hast, es schon vorher einige Male ohne Maske zu sehen, wirst Du weniger erstaunt sein. Dein Leben lang siehst Du Deine größten Fehler immer in anderen, am Ende siehst Du sie in Dir selbst. Oder noch einfacher: Am Schluss bekommst Du das, was Du gegeben hast.
    Etwas, das auch viele sehr intelligente Menschen oft lange nicht verstehen, ist das Prinzip der Kausalität. Wenn ich Türen aufhalte, werde ich durch offene Türen gehen, wenn ich Türen zuwerfe, könnte auch ich einmal eine Türe auf die Nase bekommen. Das ist nichts Neues, das versteht jeder. Wenn Du Dir schöne Frauen kaufst, wirst Du irgendwann verkauft. Das ist schon viel unangenehmer, für sich zu erkennen. Oder wenn Du bei Männern immer sehr darauf achtest, was sie finanziell auf die Waage
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