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Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Titel: Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
Autoren: Lira Bajramaj
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Nebenbau, etwa 50 Meter hinter der Werkstatt, gab es noch zwei winzige Zimmer, da ging das ganz gut. Mathematik und Naturwissenschaften standen auf dem Lehrplan. Also die höheren Klassen, keine Grundschule. Der Raum war nicht ideal, es gab keine Toiletten, alles war zusammengepfercht, von einer Heizung möchte ich gar nicht sprechen. Papa hat versucht, mit einem improvisierten Ofen einzuheizen. Das war in den kalten Tagen in der Früh immer seine Aufgabe. Ich durfte Tee und Kaffee kochen. Als Lehrer wollte mein Vater nicht vor den Schülern stehen, obwohl er sicher viel über Physik und Technik hätte erzählen können. Papa verfügte aber nicht über eine pädagogische Ausbildung wie die Lehrer, die die Kinder dann tatsächlich unterrichteten.
    Die Schüler in die zwei Räume zu schmuggeln, war alles andere als ungefährlich. Es fällt ja schon auf, wenn da zehn Kids früh auf einem Bauernhof einmarschieren. Okay, viel Nachwuchs ist bei uns Kosovo-Albanern üblich, aber eine ganze Fußballmannschaft kann in meinem Verwandtenkreis auch keiner bieten. Dennoch ging die Aktion zwei Jahre gut. Die Polizei tauchte zwar regelmäßig auf, aber immer wieder wusste es mein Vater zu verhindern, dass sie die Schulklasse entdeckte. Einige Polizisten – Albaner – kannten Papa von früher, die wussten, was läuft, hielten aber still. Zudem lag dieses Nebengebäude strategisch ganz gut: Eine Wand mit einem großen Tor stand davor, es vermutete keiner ein Gebäude dahinter. Einmal war es trotzdem knapp vor der Katastrophe. Das Eingangstor stand leicht offen, die Polizei kam zufällig vorbei und wollte nach dem Rechten sehen. Lehrer und Schüler
sind dann durch eine Hintertür geflüchtet. Sie mussten über einen Zaun klettern, um unentdeckt zu bleiben, versteckten sich im Gebüsch. Einige Kinder zogen sich Kratzer zu oder schürften sich die Haut auf, weil sie in Eile diesen morschen Holzzaun überwinden mussten. Nachdem die Luft wieder rein war, kamen meine Oma und meine Mama mit dem Verarzten gar nicht mehr hinterher.

    Das war unser Schulgebäude – 1999 ist alles zerstört, es stehen nur noch die G rundmauern
    Das neue System ließ in den wichtigen Bereichen wie Polizei oder auf den Ämtern bald keine Albaner mehr zu. Es kamen Leute aus Serbien, besetzten Schlüsselpositionen. Irgendwann war von den alten Polizisten, die mein Papa gut kannte, keiner mehr da, der Umgang des neuen Personals mit uns Albanern wurde rauer und der Ton angespannter. Schließlich bekam mein Vater eine Vorladung auf das Polizeipräsidium. Hatten sie das mit der illegalen Werkstatt mitbekommen? Oder war ihnen bekannt geworden, dass Papa unerlaubterweise Schulklassen beherbergt hat? Eines war klar: Wenn er dort hingeht,
kommt er so schnell nicht wieder. Es hätte die vorläufige Festnahme bedeutet. Danach wäre er vor ein Gericht gestellt und verurteilt worden. In der Regel warteten drei Monate Gefängnis. Knast ist weltweit furchtbar, aber Knast im Kosovo bedeutete eine ganz schlimme Zeit. Im weitläufigen Bekanntenkreis erzählten sich die Leute von schlimmer Folter. Das komplette Gefängnispersonal bestand aus Serben, die uns Albanern zum damaligen Zeitpunkt nicht gerade wohlgesonnen waren.
    Es kursierten überhaupt so viele Schauergeschichten: Viele Gefangene, die wieder freikamen, waren danach gebrochene Menschen. Aufgrund der Erlebnisse im Gefängnis konnten sie nie wieder ein normales Leben führen, kämpften mit psychischen Problemen. Wir hatten damals große Angst davor, weiter im Kosovo als unterdrückte Menschen zu leben. Keiner wusste, wie es weitergeht, ob es noch schlimmer wird, das Leben noch gefährlicher. Leute konnten sogar grundlos in den Knast kommen, wurden geschlagen oder mit Worten gedemütigt. Ein paar Kilometer von unserem Dorf war serbisches Militär stationiert. Regelmäßig fuhr die Armee mit ihren Panzern und Militärfahrzeugen durch den Ort und bedrohten ohne Grund die Einwohner. Das war Psychoterror pur. Sie wollten nur ihre Macht demonstrieren – einfach so. Einige Nachbarn wurden sogar regelrecht verprügelt. Sehr oft schaute die Polizei auch bei uns vorbei, attackierte uns mit Worten und flößte uns Angst ein. Sie haben uns beschimpft, und uns auch bedroht. Mehr Gott sei Dank nicht, aber das reichte schon.
    Mama und ich weinten damals viel. Einmal bin ich mit meinem Opa raus in die Stadt. Vor der Abfahrt sagte er mir, dass ich keinesfalls etwas sagen solle: »Wenn die merken, dass wir Albaner sind, schicken die uns
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