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Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben

Titel: Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
Autoren: Lira Bajramaj
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Vertreibungen, Vergewaltigungen tobte. Der Versuch, einen vermittelnden Dialog herbeizuführen, misslang.
    Der eigentliche Krieg sollte dann 1999 folgen, nachdem die letzte Chance auf eine friedliche Lösung endgültig fehlschlug: Die Kosovo-Albaner hatten ein Abkommen zur Selbstverwaltung des Kosovo innerhalb des serbisch-jugoslawischen Staatenverbandes unterzeichnet, das auch die Entwaffnung der UÇK und den Aufenthalt von NATO-Truppen beinhaltet. Doch die serbische Seite unterschrieb dieses Abkommen nur teilweise. Daraufhin begannen die Luftangriffe der NATO, dem sogenannten Nordatlantikpakt, einem westlichen Verteidigungsbündnis, das für die Sicherung der europäischen und nordamerikanischen Länder sorgt. Damit brach der Krieg im Kosovo aus.
    Wir lebten vorher lange Jahre eng mit Serben zusammen. Da gab es keine großen Probleme. Serben und Albaner arbeiteten vor dem Krieg gemeinsam in der Landwirtschaft, in den Städten, in den Schulen, auf den Behörden – das war alles recht friedlich, ohne große Feindseligkeiten – nach außen. Doch unterschwellig war da immer etwas da. Schließlich begegneten sich unterschiedliche Religionen, Weltanschauungen, Traditionen. Jugoslawiens früherer Präsident Tito hatte dieses Pulverfass über Jahre hinweg entschärft. Ihm war es gelungen, den Vielvölkerstaat aus Slowenen, Kroaten, Serben, Bosniern, Mazedoniern und Albanern mit harter Hand und Militär zusammenzuhalten. Ohne den mächtigen Mann an der Spitze brachen alte Feindschaften wieder auf. Das »System Tito« funktionierte nicht mehr, tiefe Gräben entstanden. Der Hass untereinander nahm zu, ethnische Konflikte schwellten an, mehr und mehr radikale Kurse wurden gefahren. Es war der uralte Hass zwischen Serben und Albanern, der sich auf historisch bedingte Besitzansprüche berief. Alles kam zusammen: Nationalistisches Denken, die schlecht gehende Wirtschaft. Viele Konflikte wurden von der Politik geschaffen, oder auch von den Medien geschürt. Die aufgezwungene serbische
Sprache (der Großteil der Bevölkerung sprach ja albanisch), die Umsiedlungen und Vertreibungen – all das ging von der Politik aus, nicht von den Bürgern, die zuvor friedlich zusammengelebt hatten.
    Als das Miteinander nicht mehr möglich war, sind viele schlimme Dinge passiert: Nachbarn zündeten gegenseitig ihre Häuser an – früher saßen diese Leute noch gemeinsam im Garten. Serben bespuckten Albaner auf offener Straße, aber es passierte auch umgekehrt. Gewalt und Ungerechtigkeiten gab es auf beiden Seiten. Nicht wenige Menschen, die viel Unheil angerichtet haben, leben heute woanders und wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
    Wie uns das alles als Familie betroffen hat? Anfang der 90er-Jahre musste jeder Albaner eine Loyalitätserklärung dem serbischen Staat gegenüber unterschreiben; wer sich weigerte, verlor seinen Job und wurde entlassen. Papa, damals als Karosseriebauer angestellt, weigerte sich. Mit der Loyalitätserklärung hätte er seinen Job behalten, so musste er gehen. Als gelernter Kfz-Mechaniker baute er sich heimlich eine Werkstatt in einer Garage auf unserem Bauernhof auf, wurde aber erwischt und musste diese wieder schließen. Papa stand nun unter Beobachtung und musste vorsichtig sein. Im Verborgenen ging es dann doch fast zwei Jahre irgendwie weiter. Die Werkstatt wurde so klein gehalten, dass es nach privater Nutzung aussah. Sozusagen nach »großer Junge, der gerne mal an Autos herumschraubt«. Das war die einzige Chance, unsere Familie einigermaßen über Wasser zu halten. Offiziell arbeiten durfte mein Vater nach der verweigerten Unterschrift nicht mehr.
    Mein Vater stellte damals heimlich Räume seiner Werkstatt für Schulklassen zur Verfügung. Die neue Regierung unterdrückte unsere Sprache und Traditionen, stülpte uns das serbische Schulsystem gnadenlos über. Es sollte keiner mehr albanisch sprechen. So entstand in Eigenregie eine zweite, verborgene Welt. Die albanischen Schulen mussten 1989 komplett schließen, über die Dörfer organisierte sich parallel ein
heimlicher Unterricht, die Schule für die albanischen Kinder ging also weiter – sozusagen im Untergrund. Die Lehrer wechselten immer wieder die provisorischen Unterrichtsräume, im nächsten Ort unterrichteten sie die nächste Schulklasse. Ein paar Meter von unserem Haus in Gjurakovc lag Papas Werkstatt, die man bis dahin noch geduldet hatte. Die Organisatoren für den albanischen Unterricht suchten nach einem weiteren Raum für die Schule. In einem
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