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Mein schwacher Wille geschehe

Titel: Mein schwacher Wille geschehe
Autoren: Harry Nutt
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bunt übermalen soll, was sich auch einfarbig blau mit dem Kugelschreiber unterstreichen lässt. Zumal man mit dem Marker bisweilen die gemeinte Textstelle grob verfehlt, so dass vor allem der Weißraum zwischen den Zeilen bemalt wird. Aber damals benutzten ihn fast alle. Und ohne weiter darüber nachzudenken, versuchte ich es nicht ohne nostalgische Reminiszenz an die vergangene Schulzeit mit dem Marker noch einmal. Jeder hat eine zweite Chance verdient. Warum nicht auch ein schnödes Markierungswerkzeug?
    Die restliche Beute meines damaligen Einkaufs bei »Ordnungssinn« ist größtenteils nach wie vor original verpackt. Schlimmer noch: Das eine oder andere gute Stück schaut mich heute fremd an, und ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum es damals in meine Einkaufstasche wanderte. Keine Ahnung, was die Geräte alles bewerkstelligen sollen. Einer Schere sieht man an, was mit ihr zu tun ist. Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Wenn man die Finger jedoch durch die Schlaufen geführt und die Scherenflügel bewegt hat, kommt man damit zurecht. Aber was, um Himmels Willen, bewirken all die kleinen bunten Utensilien auf dem Schreibtisch? Auf der Suche nach irgendwelchen Unterlagen oder Sicherungs-CDs stoße ich im Bisley-Container meines Arbeitszimmers manchmal auf länger zurückliegende Versuche, dem jährlichen Steuerprojekt mit diesem oder jenem guten Stück beizukommen. Können die großen Leitz-Ordner mit der Aufschrift »Steuer« eine Gedächtnisstütze sein? Eher nicht. Sie sind leer. Es ist nicht einmal das Stück Pappe entfernt worden, das vor dem ersten Gebrauch die Bügel schützen soll.
    Als die Zeit gekommen war, da das Finanzamt nicht länger mit sich über einen Abgabetermin verhandeln ließ, war ich also einmal mehr gezwungen, den schmuddeligen Pappkarton hervorzuholen, |29| der über Jahre den Dienst nicht verweigert hat, die Quittungen, Rechnungskopien und andere Belege aufzubewahren. Er ist an den Seiten eingerissen und verliert allmählich die Form. Aber nie wäre ich bisher auf die Idee gekommen, ihn durch irgendein moderneres und stabileres Gefäß von »Ordnungssinn« zu ersetzen. Man hängt an solchen Dingen vielleicht nur, weil man sie in jedem Durcheinander sofort wieder erkennt. Ich begann also, den Inhalt auszubreiten in der Hoffnung, dass sich alles zu einem schönen Puzzle zusammenfüge. Ich kramte herum, bildete Häufchen, machte Häkchen, tippte in den Taschenrechner, vertippte mich dabei, begann noch einmal von vorn, schmiss das eine Häufchen um, tippte noch einmal und trug am Ende die Summe dieses Tuns vorsichtig zu einem geduldigen Steuerberater, der all die Schnipsel wortlos entgegennahm, später aber in aller Form mitteilen ließ, ich möge beim nächsten Mal doch Hilfsmittel wie Klarsichthülle und andere Ablagesysteme verwenden. Am besten immer dann, wenn ein Buchungseingang zu verzeichnen sei, mindestens aber einmal im Monat. Nur so als Tipp, das könne doch nicht so schwer sein.
    Die Geduld des Steuerberaters hatte bald ein Ende, so dass ich gezwungen war, mich der Angebotsvielfalt auf dem Markt des Wirtschaftsberatungswesens anzuvertrauen. Die geduldige Nachfolgerin des geduldigen Steuerberaters sparte nicht mit wohl bekannten Ratschlägen. Ich möge es doch einmal mit praktischen Ordnungshilfen probieren. Dabei hätte man meinen Einkauf bei »Ordnungssinn« zweifellos als Zeichen deuten können, dass ich mich nicht der Einsicht in die Notwendigkeit verschließe, meine Steuerunterlagen überschaubar und nachvollziehbar zu präsentieren. Am Ende half das aber nicht. Es kam der Tag, da holte ich den alten Pappkarton hervor und bildete Häufchen, machte Häkchen, tippte in den Taschenrechner ...
    Über solch rätselhafte Verhaltensweisen hat sich bereits Augustinus den Kopf zerbrochen. Wer legt einem all die Steinchen |30| in den Weg, über die man, falls nicht darüber stolpert, auf wundersame Weise die Zeit und den Zweck seiner guten Absichten ver­gisst? Am Beispiel der Steuererklärung, die vielen Bürgern als unhintergehbare Pflicht auferlegt ist, lässt sich ein wenig Ursachenforschung betreiben. Zwar kann man sich dem staatlichen Begehren widersetzen. Zunächst passiert sehr wenig, mit einiger Verzögerung aber hat das Amt auf jede Unterlassung eine Antwort. Das vergrößert oft nur die Qual, und man fährt besser damit, den Aufforderungen Folge zu leisten. Bei fortgesetzten Zuwiderhandlungen neigen die Ämter dazu, unbarmherzig ihre Recheninstrumente zu
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